Sandra Newman | DAS VERSCHWINDEN

USA 2022 | 304 Seiten | 24 Euro
OT: »The Men«
Aus dem Englischen von Milena Adam
Eichborn Verlag
ISBN: 978-3-8479-0132-7

Als die Männer verschwanden, war nichts zu spüren.

(Seite 7)

Es ist der 26. August um 19:14 Uhr Westküstenzeit als von einem auf den anderen Moment sämtliche Männer von der Erde verschwinden. Einfach so, ganz plötzlich weg, nicht mal ein gemeinschaftliches Plopp! hat’s gegeben. Und mit einem Mal ist die Welt ganz ruhig … zumindest nach den ersten chaotischen Stunden, in denen hunderte Flugzeuge pilotenlos vom Himmel fallen, unzählige werdende Mütter vor Schmerzen zusammenbrechen, da ihr männlicher Fötus eine klaffende Leerstelle in ihren Bäuchen hinterlässt und jede Menge anderer Katastrophen. Dieses Startszenario wählt Sandra Newman in ihrem Roman DAS VERSCHWINDEN, das ein weiteres Juwel ihres Schaffens darstellt.

Seit der Veröffentlichung von ICE CREAM STAR vor ein paar Jahren bin ich großer Fan der amerikanischen Schriftstellerin, die mit jedem Roman ideenreich neue Wege geht, und auch diesmal zaubert Newman eine Geschichte zwischen die Buchdeckel, die ich so noch nie gelesen habe.


Sie begleitet verschiedene Frauen, die sich in der neuen, nun männerlosen Welt zurechtfinden müssen. Manchen von ihnen fällt das leicht, sie sind sogar froh, weil ein privates Martyrium schlagartig beendet wurde; anderen dagegen fällt es schwer, weil sie geliebte Menschen verloren haben, liebende Ehemänner, gute Söhne. Die Ich-Erzählerin Jane Pearson – die sich schnell als Hauptfigur herauskristallisiert – zieht es zur ihrer Freundin Evangeline, die in Kalifornien einen feministischen Hort für hunderte Frauen aufbaut und sich mit großem Eifer zur Anführerin der Neuen Weltordnung aufschwingt.

Für Evangeline ist das Verschwinden der Männer ein Segen, den sie als die große Chance ansieht, um aus der Welt einen besseren, friedvolleren und lebenswerteren Ort zu machen. Doch nach einiger Zeit taucht eine Website im Netz auf, in der massenhaft Videos hochgeladen werden, in denen unzählige Männer unter Schmerzen gezeigt werden. Wo die Videos herkommen, ist unklar, ob es sich um einen riesigen Deep-Fake handelt ebenso. Doch nach und nach erkennen viele Frauen ihre verschwundenen Männer wieder, so auch Jane, die seit dem mysteriösen Augenblick Mann und Sohn vermisst. Es ergibt sich eine Möglichkeit, das Verschwinden rückgängig zu machen, doch sind die befreiten Frauen dazu bereit, ihre frisch gewonnene Freiheit wieder aufzugeben?


Es ist mal wieder eine ganz besondere Geschichte, die Sandra Newman ihrem Publikum mit DAS VERSCHWINDEN präsentiert. Mit und zwischen den Einzelschicksalen der Frauen eröffnet sie jede Menge Fragen und weist auf die großen Probleme im ungleichen Machtverhältnis unserer patriarchalen Welt hin, ohne das männliche Geschlecht vollends zu verteufeln. Ganz im Gegenteil, denn ihre Hauptheldin hat eine finstere Vergangenheit, die man klassischerweise eher einem Mann zuschreiben würde, was für zusätzlichen Zündstoff sorgt.

Genau dieses Verschieben der erwartbaren Klischees, verbunden mit einem äußerst spannenden Schreibstil – inklusiver fieser Cliffhanger und einem verblüffenden Ende –, macht die Lektüre so reizvoll. Ich finde, Sandra Newman ist hierzulande noch viel zu unbekannt, also tut mir den Gefallen und lest diesen grandiosen Roman!


DAS VERSCHWINDEN erschien im Eichborn Verlag, dem ich herzlichst für das Rezensionsexemplar danke. Mit einem Klick auf das Coverbild gelangt Ihr zur Verlagsseite, wo Ihr Informationen über Buch und Autorin findet.

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