Raymond Queneau | ZAZIE IN DER METRO

F 1959 | 239 Seiten
OT: »Zazie dans le métro«
Aus dem Französischen von Frank Heibert
Suhrkamp Verlag
ISBN: 978-3-518-42861-0

Waschtinkndiso, dachte Gabriel entnervt. (Seite 7)

Als großer Fan von Neuübersetzungen kam ich im letzten Jahr nicht an Raymond Queneaus (1903-1976) Klassiker ZAZIE IN DER METRO vorbei. Ich hatte die ursprüngliche Übersetzung von Eugen Helmlé vor gut zehn Jahren gelesen und konnte mich kaum noch an den Plot erinnern – viel zu wirr und hektisch –, wohl aber an den für Queneau typischen Wortwitz und seine Liebe zum Spiel mit der Sprache.

Über den Inhalt will ich mich an dieser Stelle gar nicht lange auslassen; der Roman ist seit sechzig Jahren ein Bestseller, wurde erfolgreich verfilmt und mehrfach auf die Bühne gebracht, als Comic adaptiert und gilt in Frankreich als eines der besten Bücher des 20. Jahrhunderts. Also nur in aller Kürze: Zazie, ein junges Mädchen vom Lande, soll das Wochenende bei ihrem Onkel Gabriel in Paris verbringen. Ihr größter Wunsch ist es, nur ein Mal mit der weltberühmten Pariser Metro zu fahren. Doch die Bahnarbeiter streiken – die Metro bleibt geschlossen. Bei Onkel Gabriel ist es der zappeligen Göre aber zu langweilig, also macht sie sich aus dem Staub und verschwindet im Getümmel des Pariser Nachtlebens, wo ein schlafloses Wochenende auf sie wartet.


Wie schon angedeutet: Die Handlung ist ein wilder Ritt durch die Nacht mit haarsträubenden Szenen und abstrusen Wendungen, völlig überhöht und auf die Spitze gebracht. Realistisch ist das alles in keinster Weise, es geht mehr um die Sprache und wie man sie einsetzen kann. Und in dieser Hinsicht ist ZAZIE IN DER METRO wahrlich ein kleines Meisterwerk. In jedem Satz lauert ein Witz, ein Wortspiel, eine Andeutung. Gleich das erste Wort des Romans »Waschtinkndiso« ist eine phonetische Notierung von »Was stinken die so?« und lässt jeden unvorbereiteten Leser erstmal ins Stolpern geraten. Ab hier ist die Marschrichtung klar: Es wird gestolpert bis zum Schluss!

Nun ist es ja so, dass manche Bücher schneller altern als andere, besonders, wenn es sich um humoristische Bücher handelt, da sich der Humor der Leserschaft über die Jahrzehnte weiterentwickelt. (Bei Filmen ist das ganz ähnlich: Wenn sich meine Eltern damals über Dick und Doof schlapplachten, konnte ich sie nur mitleidig ansehen. Die gleichen Blicke ernte ich heute von meinen Kindern, wenn ich ihnen mit Bud Spencer und Terence Hill komme.) Sechzig Jahre nach der Veröffentlichung haut man sich bei ZAZIE nun auch nicht mehr permanent brüllend auf die Schenkel und wischt sich die Tränen aus den Lachfalten. Der Roman hat mittlerweile die gediegene Aura, die stille Präsenz eines Klassikers, der nichts mehr beweisen muss, der nur noch da ist und auf seine Leser wartet, um sie zu verzaubern. Insofern ist ZAZIE IN DER METRO heute ein eher leises Buch, ein Zeitdokument des Humors von damals – eher interessant als lustig.

Ergänzt ist der Band – neben zwei bisher unveröffentlichten Kapitelvarianten und einigen erhellenden Anmerkungen – um ein sehr lesenswertes Nachwort des kongenialen Übersetzers Frank Heibert, der sich bei seiner Arbeit wunderbar offen über die Schulter gucken lässt. Hier erläutert er die Unterschiede zur Helmlé-Übertragung und geht auf die vielen Schwierigkeiten ein, die eine Queneau-Übersetzung so mit sich bringt. Warum heißt Monsieur Trouscaillon jetzt Ramlère und die Witwe Mouaque jetzt Dassemire? Warum springt die Erzählzeit ständig zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her? Wie waren die gesellschaftlichen Umstände in Frankreich, als Queneau das Buch begann, und wie, als er es beendete? Dieser zusätzliche Text macht das Buch noch wertvoller, als es ohnehin schon ist. Ich finde, ein persönliches Nachwort, das die Arbeit des Übersetzers zum Inhalt hat, sollte besonders bei Neuübersetzungen zum Standard werden. Nach den grandiosen STILÜBUNGEN ist es Heiberts zweite Queneau-Arbeit, hoffentlich folgen noch viele nach.

Wer also mal einen modernen Klassiker der besonderen Art lesen möchte und Interesse an der kreativen – und niemals zu unterschätzenden! – Arbeit eines Übersetzers hat, sollte hier unbedingt zugreifen. Ein literarischer Hochgenuss!


978-3-518-42861-0ZAZIE IN DER METRO ist beim Suhrkamp-Verlag erschienen, dem ich herzlichst für das Rezensionsexemplar danke. Alle Informationen über Buch und Autor, sowie eine Leseprobe findet Ihr hier. Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

2 Gedanken zu “Raymond Queneau | ZAZIE IN DER METRO

  1. Vielen Dank für deine Besprechung dieses Klassikers, der mir bis zu deinem Beitrag gänzlich unbekannt war. Vor allem hinsichtlich der aktuellen Streiks u.a. eben bei der Metro in Paris, freue ich mich auf die Geschichte, die nun schon ihre Jahrzehnte auf dem Buckel hat.

    Du hast recht, Humor verändert sich – aber verändert sich nicht noch viel mehr, weshalb Literatur so ein wichtiges Werkzeug ist zur Reflexion auf persönlicher wie auch gesellschaftlicher Ebene? Wie auch immer. Lieben Dank für deine Besprechung!

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