GEO 2011 | 182 Seiten
OT: »Gasaberi Angelozi«
Aus dem Georgischen von Maia Tabukashvili
Blumenbar
ISBN: 978-3-351-05058-0
Viele glauben nicht an Geister. Selbst dann nicht, wenn sie sie beschwören. (Seite 7)
Einer der wichtigsten und interessantesten Autoren der zeitgenössischen georgischen Literatur ist zweifellos Zaza Burchuladze (*1973). Sein Werk polarisiert die kaukasische Leserschaft wie kein zweites: Er wurde von Staatspräsident Saakaschwili angeprangert, seine Bücher wurden von religiösen Extremisten öffentlich verbrannt und nach einem brutalen Überfall floh er mit seiner Familie nach Berlin, wo er seither im Exil lebt. Dennoch wurde er von den Kulturschaffenden Georgiens mit Preisen überhäuft, und auch in Deutschland erreicht er mehr und mehr Leser (und das nicht erst seit der Frankfurter Buchmesse, die letztes Jahr Georgien als Gastland empfing). DER AUFBLASBARE ENGEL ist bereits der dritte Roman des Autors, der beim Blumenbar-Verlag erscheint, wurde von der Ilia-Universität in Tbilissi als bester Roman des Jahres 2011 ausgezeichnet und war ausschlaggebend für den Missmut gegen seine Person. Doch worum geht’s…?
Niko und Nino Gorosia sind ein junges Paar, die mehr schlecht als recht in Tbilissi leben. Es ist das Jahr 2010 – Georgien hat sich vom Kaukasuskrieg noch lange nicht erholt und steckt mitten in den Nachwehen der Wirtschaftskrise, die das Land stärker als je zuvor in arm und reich aufteilte. Die Gorosias gehören zu den unteren Zehntausend, wohnen mit ihrem Hund Foucault in einer schäbigen Mietwohnung und leben in den Tag hinein. Aus einer Laune heraus – einfach, damit mal etwas passiert – führen sie, wie in einer Zeitschrift beschrieben, eine Geisterbeschwörung durch und staunen nicht schlecht, als plötzlich Georges Gurdjieff in der Wohnung steht: Hexer und Scharlatan, Esoteriker und Guru, und – vor allen Dingen – seit über sechzig Jahren tot. Leider gelingt es nicht, den Hexenmeister wieder weg zu beschwören. Niko und Nino arrangieren sich aber recht schnell mit ihrem neuen Mitbewohner, der, auch wenn er furchtbar stinkt und ihm beim Sprechen ständig Ruß aus dem Mund rieselt, mit seiner Zauberkraft wahre Wunder bewirken kann.
Das Erste, was im Hause Gorosia geändert werden muss, ist die finanzielle Lage. Da kommt es ganz gelegen, dass einer der Neureichen eine heimliche Geliebte im Mietshaus hat, die er jede Woche besuchen kommt. Gurdjieff nimmt sich seiner an, hypnotisiert ihn und erpresst eine Million Euro, die prompt am nächsten Tag auf dem Stubentisch liegen. Das Problem: Der Neureiche ist bei der Hypnose anscheinend in eine Art Zwischenwelt geraten, schwarz angelaufen und kann seit dem nur noch röcheln. Auch er bleibt in der Wohnung, gilt seitdem also als vermisst und muss irgendwie »entsorgt« werden. Doch auch hierfür gibt es Lösungen…
In erster Linie ist die irre Geschichte ganz locker als groteskes Märchen zu lesen. Die Szenen sind zu gleichen Teilen witzig wie unheimlich, mit einer ordentlichen Portion B-Movie-Trash. Aber unter dieser bunten Schicht lauern so einige Tiefen, ohne die der Roman auch wohl kaum so viel Gegenwind erfahren hätte. Da ist zunächst die allgegenwärtige Sozialkritik, die auf die oberflächliche Geldgeilheit der georgischen Jugend abzielt; ein Thema, an dem sich Burchuladze auch in ADIBAS schon gekonnt austobt. Im vorliegenden Roman äußert sich das besonders ab dem Zeitpunkt, an dem die Million ins Spiel kommt. Niko und Nino kaufen sich davon eine Eigentumswohnung in einem besseren Viertel der Stadt, und lassen Gurdjieff und den Neureichen in ihrer alten Bude halb verschimmeln – aus den Augen, aus dem Sinn.
Und dann natürlich das ganze Schindluder mit der Religion, was bekanntlich nicht nur in Georgien ein ganz heißes Eisen ist. Die heraufbeschwörte Geisterfigur Gurdjieff (falls Ihr mehr erfahren wollt: den gab’s wirklich) treibt im Laufe der Geschichte allerhand Schabernack mit den christlichen Werten: Er lässt den neureichen Stinkezombie Bibelverse auswendig lernen, nutzt den Glauben tiefreligiöser Christen für seine eigenen Zwecke, missbraucht den den Namen des Herrn und antwortet zum Beispiel auf die Frage, ob er an Gott glaube, mit: »Gott bewahre mich davor!« Hierzulande kann man bei solchen Stellen natürlich laut loslachen – hoffe ich doch! –; in manchen Gegenden im Kaukasus allerdings ist es nach einem solchen Satz still wie im Grab.
Wie gut, dass Burchuladzes Romane im Blumenbar-Verlag eine neue Heimat gefunden haben (und der Autor selbst in Berlin). Bücher wie diese sind wichtig und der beste Beweis, dass Kunst und Kultur höher stehen als religiöser Eifer.
DER AUFBLASBARE ENGEL ist beim Blumenbar-Verlag erschienen, dem ich herzlichst für das Rezensionsexemplar danke. Alle Informationen über Buch und Autor findet Ihr hier. Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.