Eduardo Largo | BROOKLYN SOLL MEIN NAME SEIN

E 2006/2016 | 464 Seiten
OT: »Llámame Brooklyn«
Aus dem Spanischen von Guillermo Aparicio
In Zusammenarbeit mit Carlos Singer
Alfred Kröner Verlag
ISBN: 978-3-520-62401-7

Vor Fenners Point biegt die Landstraße, sich in Richtung Deauville von der Küste entfernend, jäh nach Westen ab.

(Seite 5)

Néstor Chapman steht vor einer schwierigen Aufgabe: Er soll für seinen verstorbenen Freund Gal Ackerman den Roman fertigstellen, an dem dieser sein halbes Leben lang geschrieben hat und schließlich nicht beenden konnte. Im Nachlass findet Chapman unzählige Aufzeichnungen, Kurzgeschichten, Fotos, Zeitungsartikel und Briefe – aus diesem Wust an Lebenserinnerungen soll »Brooklyn« entstehen, so Ackermans Wunschtitel für den Roman. Doch wo soll man mit dem Schreiben beginnen, bei einem an Höhen und Tiefen nicht gerade armen Leben? Die Aufzeichnungen reichen bis weit in die Vergangenheit und spielen an vielen Orten auf der Welt, Dreh- und Angelpunkt ist aber immer wieder das Oakland, eine heruntergekommene Spelunke in Brooklyn, in der Ackerman über Jahre hinweg an seinem Stammplatz saß und schrieb.

Die große Motivation hinter dem Projekt ist – Wie soll es anders sein? – eine Frau, Nadja Orlov, Ackermans einzige große Liebe. Er traf die junge Schönheit vor vielen Jahren und es war sofort um ihn geschehen, sie hatten eine gute Zeit miteinander, doch er verlor sie wieder. Über diese Trennung kam Ackerman nie hinweg; der Schmerz und die Eifersucht, diese rasenden Gefühle, sind der Motor für sein Schreiben. Nadja Orlov ist die einzige Adressatin, nur für sie soll der Roman geschrieben sein. Chapman macht sich an die Arbeit…


… und was dabei herausgekommen ist, halten wir mit BROOKLYN SOLL MEIN NAME SEIN in den Händen. Dabei handelt es sich aber keineswegs um eine geradlinig heruntergeschriebene Lebens- und Liebesgeschichte, weit gefehlt. Eduardo Lago (*1954) liefert vielmehr einen Roman über das Schreiben eines Romans ab. Das Leben Ackermans wird in Dutzenden Bruchstücken unterschiedlichster Art serviert, mal als Tagebucheintrag, mal als Briefwechsel, mal als eingeschobene Kurzgeschichte. Zwischendurch gibt sich immer wieder Chapman als Autor und Herausgeber zu erkennen, richtet das Wort dann aber direkt an seinen Freund, der schon längst begraben ist. Das beendete Buch ist also mehr ein Nachruf, ein Gruß ins Jenseits.

Das alles ist hochkomplex und virtuos komponiert; ich hatte meine liebe Mühe, dem Geschehen zu folgen und war dankbar für die mehrseitige Zeittafel, die dem Roman angehängt ist. Ort und Zeit springen hin und her, die Perspektiven wechseln mit jedem der Kapitel, allein die Anzahl der Figuren ist mit weit mehr als hundert kaum zu überblicken – Lagos Roman sprengt in vielerlei Hinsicht die Grenzen. Eigentlich mag ich herausfordernde Bücher, die mehr bieten als eine einfache Geschichte, bei diesem aber sprang der Funke nicht über.

Was mir nämlich gehörig auf die Nerven ging, war der furchtbar selbstverliebte Schreibstil, der sich durch den ganzen Roman zieht, unabhängig davon, wer gerade spricht oder beschrieben wird. Alle labern extrem geschwollen daher, die wörtlichen Reden schäumen über vor Infodump und das Auftreten oder Erwähnen dutzender historischer Persönlichkeiten – Mark Rothko, Thomas Pynchon, Norman Mailer – ist nichts weiter als überflüssiges Namedropping. Lago will unbedingt zeigen, wen er alles kennt, wo er schon überall war und was er alles weiß. Vielleicht bin ich ein bisschen empfindlich, aber wenn ich beim Lesen nur noch den Autor höre und nicht seine Figuren, kann ich das nicht mehr ignorieren und dann war’s das mit dem Lesevergnügen … das ist so ähnlich wie mit dem tropfenden Wasserhahn. Den Vogel aber schießt Lago mit dem zwanzigseitigen Nachwort ab, in dem er en détail erzählt, wie er nur in der Lage sein konnte, dieses grandiose Meisterstück der Weltliteratur zu schreiben… Alter Spanier, wie eitel ist das denn?

Hinzu kommt, dass es sich bei Lagos Weltsicht um eine zutiefst maskuline und patriarchale handelt, in der Frauen der Eroberung durch den Mann nichts entgegensetzen können. (Natürlich schläft die schöne und blutjunge Nadja mit dem zwölf Jahre älteren Ackerman, der sie vorher tagelang gestalkt hat, gleich in der ersten Nacht, beschrieben übrigens mit einer unfassbar peinlichen Sexszene … gibt es eigentlich noch den Bad Sex in Fiction Award?) Für mich ist BROOKLYN SOLL MEIN NAME SEIN ein typisches Beispiel für Alte-Weiße-Männer-Literatur: kunstvoll und komplex, aber auch elitär und narzisstisch.


BROOKLYN SOLL MEIN NAME SEIN erschien beim Alfred Kröner Verlag, dem ich herzlichst für das Rezensionsexemplar danke. Mit einem Klick aufs Coverbild gelangt Ihr zur Verlagsseite, wo Ihr Informationen über Buch und Autor findet.

Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.


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