Franziska Hauser | KEINE VON IHNEN

D 2022 | 304 Seiten
Eichborn Verlag
ISBN: 978-3-8479-0112-9

»Jennifer!«, brüllte ihr Vater.

(Seite 5)

Neben den aktuellen Veröffentlichungen von Joshua Cohen und Berit Glanz habe ich mir in diesem Frühjahr auch den neuen Roman von Franziska Hauser sehnlichst herbeigewünscht. Gut zwei Jahre und eine Pandemie sind seit DIE GLASSCHWESTERN vergangen; jetzt steht mit KEINE VON IHNEN ein Buch in den Läden, mit dem die Autorin aufs Neue beweist, dass sie zu den großen Stimmen des Landes zählt.


Jennifer – genannt Jef – ist im Herzen Künstlerin, hält sich aber mit schlecht bezahlten Grafikaufträgen nur halbwegs über Wasser. Um ihrer Kreativität ein bisschen mehr Freiraum zu ermöglichen, bewirbt sie sich kurzerhand auf ein Stipendium in einem Künstlerhaus in den Bergen und wird – zu ihrer großen Überraschung – angenommen. Zusammen mit vier anderen jungen Talenten bezieht sie also eine alte Villa im noblen Bergdorf Brönnen, um mit Hilfe von WG-Flair und Kommunengeist ihre Muse zu fangen und jede Menge Kunst zu erschaffen.

Was Jef aber verheimlicht: Sie hat sich das Stipendium ergaunert. Bei ihrer Bewerbung hat sie übermäßig hoch gestapelt und ihr Lebenslauf ist schamlos gepimpt. Ihr Aufenthalt hier fußt nicht auf Talent, sondern auf einer Lüge. Die anderen, das sind die wahren Künstlerseelen, die Begabten, die Von-Gott-Geküssten, denen Welt und Zukunft offenstehen. Jef ist ein Niemand, eine Blenderin, ein Fehler im System – sie ist KEINE VON IHNEN … So kommt es Jef zumindest anfänglich vor, doch nach und nach erkennt sie, dass die anderen Stipendiat:innen auch nur mit Wasser kochen. Niemand hier wird die Kunstwelt revolutionieren, alle haben ihre Macken und labern hochgestochen, um ihre halbherzigen Werkeleien aufzuwerten. Es kommt nur darauf, wie man sich verkauft: Plustert man sich mit einem Übermaß an Selbstgefälligkeit vor seiner Arbeit auf, öffnen sich viele Türen; lässt man sich jedoch vom strahlenden Ego der Konkurrenz einschüchtern, landet man auf dem Abstellgleis … so wie Jef.


Franziska Hauser zeigt in KEINE VON IHNEN wieder all ihre Stärken: pointierte Sätze, die mit einem leicht sarkastischem Unterton immer ihr Ziel treffen; ein buntes, wunderbar beschriebenes Figurenensemble; auf den Punkt gebrachte Dialoge; gelungene Vergleiche im Kleinen, aufgeladene Symboliken im Großen. Vertieft und abgerundet wird die Geschichte um Jefs Erlebnisse in der Künstlervilla mit Rückblenden in ihre Jugend, wo die Gründe für Jefs zögerliches Wesen zu finden sind. Eine weitere Ebene, die den Plot vorantreibt, kommt mit der Figur der Therese hinzu, einer alten, offenbar geistig umnachteten Frau, die seit Jahren scheinbar unbemerkt in der Villa wohnt.

So viel zum Handwerklichen, der eigentliche Wert des Romans liegt aber in seiner schonungslosen Ehrlichkeit. Zum einen hält Hauser dem prätentiösen Kunstgehabe aller Sparten den Spiegel vor, zum anderen beschreibt sie ein Gefühlskarussell, das jeder, der in irgendeiner Art und Weise an die Öffentlichkeit tritt – und wenigstens ein bisschen zur Selbstkritik fähig ist –, kennen wird: Ich bin nicht gut genug. Die anderen sind besser. Was mache ich hier eigentlich? Ich kenne diese emotionale Achterbahnfahrt von einem Drehtag mit dem Norddeutschen Rundfunk. Für eine Sendung im Abendprogramm sollte ein Porträtfilm über mich und meine Bloggerei gedreht werden. Ich wurde einen Tag lang begleitet, eine nette Reporterin stellte mir Fragen, Kamera und Ton hoppelten immer hinter uns her. Wir waren bei mir zu Hause, in der Stadt unterwegs und in meiner Stammkneipe, in der ich immer lese. Die Leute guckten uns hinterher, alle waren superinteressiert und die ganze Zeit über dachte ich: »Habt ihr ’n Knall? Wer bin ich denn, dass ihr hier einen Film über mich machen müsst? Ihr seid beim Falschen! Warum geht ihr nicht zur Wilke oder zum Mangold? Ich bin die personifizierte Abwesenheit von Relevanz!« Aber natürlich habe ich sie genossen, meine fünfzehn Minuten Ruhm…

Genau dieses Wechselbad fängt Franziska Hauser perfekt ein, dieses Auf und Ab zwischen »Ich bin schon wer!« und »Wer bin ich schon?« Soll heißen: Ich fühle mich verstanden!
Ein großartiges Buch.


KEINE VON IHNEN ist beim Eichborn Verlag erschienen, dem ich herzlichst für das Rezensionsexemplar danke. Mit einem Klick aufs Coverbild gelangt Ihr zur Verlagsseite, wo Ihr Informationen über Buch und Autorin, sowie eine Leseprobe findet.

Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

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