Harald Stuckmann | CHICAGO CHEVY CHARLESTON

D 2021 | 260 Seiten
Books on Demand
ISBN: 978-3-753-49682-5

Steve nahm die die Sonnenbrille ab, um sich Klarheit zu verschaffen.

(Seite 7)

Nach der kräftezehrenden Wortgewalt von WITZ, der ich den kompletten Januar über ausgeliefert war, wollte ich den Februar mit etwas Leichtem beginnen, einer coolen Geschichte, die klaren Linien folgt und einfach nur etwas Unterhaltung bietet. Und was wäre da besser geeignet als ein Roadmovie durch halb Amerika im guten alten Achtzigerjahre-Gewand? Da fiel mir CHICAGO CHEVY CHARLESTON in die Hand…

Die Story ist schnell erzählt: Ein Typ aus Chicago – Steve, um die dreißig – will aus seiner erdrückenden Beziehung fliehen, schnappt sich den klapprigen Bel Air seines Großvaters und fährt rund tausend Meilen bis nach Charleston am Atlantik, wo er die rostige Kiste – im wahrsten Sinne des Wortes – unter die Erde bringen will. Der Wagen ist ein Erbstück seines Großvaters, der in Charleston begraben ist – Steve, der die Stadt am Meer stark mit seiner Kindheit verbindet, will mit dieser Aktion also eine Art Kreis schließen. Doch die Reise ist turbulenter als gedacht. Er durchquert mit Kentucky und Tennessee typische flyover states, deren Einwohner oft das Klischee des tumben Hinterwäldlers erfüllen. Hinzu kommt, dass Steve auf halber Strecke einen blinden Passagier im Kofferraum entdeckt, die junge Beth, die ihn nach Charleston begleitet und sein Leben ordentlich durcheinander bringt.


Zunächst einmal: Der Autor Harald Stuckmann weiß viel über Land und Leute der beschriebenen Gegend. Er war beruflich oft dort unterwegs und kann aus einem reichen Schatz an Erinnerungen schöpfen, was er in seinem Debütroman CHICAGO CHEVY CHARLESTON auch mit spürbarem Vergnügen tut. Sehr interessant ist zum Beispiel die Schilderung eines Gottesdienstes in irgendeinem Kaff, bei dem die Anwesenden illegalerweise mit Giftschlangen tanzen – wenn sie gebissen werden und an den Folgen sterben, so war es Gottes Wille. Auch die Atmosphäre in Chicago (und später dann in Charleston) ist gut eingefangen und wirkt – ohne dass ich das bezeugen könnte – authentisch. Man kauft Stuckmann all das ab, weil man merkt, dass er dieses Setting sehr mag – das alte Amerika der Achtziger. Schon der Klang des Namens – Chi-Ca-Go –, musikalischer geht’s kaum … allein auf Seite 15 taucht der Name ganze fünf Mal auf. Stuckmann kann es nicht verbergen: Er liebt diese Stadt! Dank dieser Begeisterung liest man auch über die typischen Books on Demand-Unsauberkeiten hinweg (Grammatikfehler, Infodump, Wortdoppelungen, Perspektivschwächen, etc.). Ohne professionelles Lektorat und Korrektorat ist es – wie jeder weiß – schwierig, ein stilistisch sauberes Buch abzuliefern, da kann man noch so oft drüberlesen.

In dieser Hinsicht kann man also viele Augen zudrücken. Das Buch ist ein Herzensprojekt und weiß zu unterhalten. Nur einen Aspekt sehe ich wirklich kritisch: es ist in keinster Weise zeitgemäß. CHICAGO CHEVY CHARLESTON ist ein Roadmovie nach klassischem Vorbild. Es handelt von Männern, die miese Jobs erledigen, durch die Gegend fahren und ihren Träumen nachjagen. Dazu gibt’s ein paar hübsche Frauen, die für die Erotik sorgen. Es fehlt eigentlich nur noch ein Redneck-Ranger, der einer der Miezen auf den Arsch haut und sagt: »Na, mein Täubchen? Wie wär’s mit uns beiden?« Vor dreißig Jahren war das gang und gäbe, man muss sich nur die alten Chuck-Norris-Streifen anschauen, aber 2022…? Ich will Stuckmann hier nichts unterstellen – er ist (wie wir alle) ein Kind seiner Zeit –, aber das ist genau die Art von Literatur, die die jungen, emanzipierten und woken Leserinnen heutzutage in der Luft zerfetzen: Alte-Weiße-Männer-Prosa.

Wer damit klarkommt, wird gut unterhalten; alle anderen sollten überlegen, ob es den 200er Puls wert ist.


CHICAGO CHEVY CHARLESTON erschien bei Books on Demand; ich danke dem Autor für das Rezensionsexemplar. Mit einem Klick aufs Coverbild gelangt Ihr zur Verlagsseite, wo Ihr Informationen über Buch und Autor, sowie eine Leseprobe findet.

Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

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