Franziska Gänsler | EWIG SOMMER

D 2022 | 208 Seiten
Kein & Aber Verlag
ISBN: 978-3-0369-5881-1

Die Frau und das Kind kamen an einem Dienstag.

(Seite 5)

Im Zuge des Blogbuster-Preises 2020 habe ich zum ersten Mal von Franziska Gänsler gehört. Mit ihrem Romanmanuskript KAHN – ausgewählt von ZEICHEN & ZEITEN-Bloggerin Constanze Matthes – kam sie in die Finalrunde für den Preis, den schließlich Sylvia Wage mit ihrem Debüt GRUND gewann, Ihr erinnert Euch… Umso schöner ist es, dass Franziska Gänsler dennoch einen renommierten Verlag für ihren Roman gefunden hat, wenn auch nicht für KAHN, sondern für EWIG SOMMER, so wurde ihr Zweitling also ihr Debüt.

EWIG SOMMER spielt in dem schön gelegenen Kurort Bad Heim, genauer gesagt in einem kleinen Hotel mitten im Wald, dass von einer alleinstehenden Frau – Iris – geführt wird. Iris hat das Hotel einst von ihrer Mutter übernommen und kümmert sich seither um die Gäste und alle anstehenden Arbeiten. Eines Tages bittet eine Frau um ein Zimmer für sich und ihre Tochter. Es waren schon lange keine Gäste mehr in dem Hotel abgestiegen – Iris hatte schon gar nicht mehr damit gerechnet –, also gewährt sie den beiden Unterkunft und ist froh, endlich mal wieder etwas zu tun zu haben. Die beiden Frauen kommen in den Folgetagen oft und freundschaftlich miteinander ins Gespräch, dennoch hat Iris das Gefühl, dass die Mutter etwas verheimlicht. Auch scheint sie ab und zu gewisse Aussetzer in ihrer Fürsorge zu haben, was zu durchaus gefährlichen Situation für ihre kleine Tochter führt. Iris‘ Sorgen steigern sich, als ein Mann im Hotel anruft, der seine Frau sucht. Diese sei angeblich mit der gemeinsamen Tochter durchgebrannt und seelisch instabil. Als Iris die Frau zur Rede stellt, hört sie die andere Seite der Geschichte und wird mit den dunklen Erinnerungen an ihre eigene Familie konfrontiert.


Soviel zum Plot, der mit seinen psychologisch gut durchdachten Figuren und Gänslers sanfter Sprache allein schon die Lektüre wert ist. Was den Roman aber besonders zum Glänzen bringt, ist das Setting. Dass das Hotel schon länger keine Gäste mehr hat, liegt daran, dass der umliegende Wald durch den titelgebenden ewigen Sommer Feuer gefangen hat, Brände, die seit Wochen schwelen und den Kurort zu einer permanenten Gefahrenzone machen. Umweltschutzgruppen haben sich im Wald aufgestellt und liefern sich mit den verantwortlichen Behörden erbitterte Kämpfe. Der Roman scheint durch diesen Umstand, der im Text zwar oft benannt wird, aber auf Dauer absichtlich in den Hintergrund rutscht, zeitlich leicht in die Zukunft versetzt. Und doch ist er aktueller denn je, wenn man sich nur die derzeitige Situation in unseren Wäldern vor Augen führt. (Erst kürzlich habe ich in der Bahn gehört, wie ein älterer Herr seiner Frau gegenüber den abgrundtief dämlichen Satz »Manche nennen es Klimawandel, andere nennen es Sommer!« ausgesprochen hat. Liebe Leugner: Vierzig Grad plus in Norddeutschland ist kein Sommer mehr; das ist eine Katastrophe!)

Stilistisch erfüllen die im Roman wütenden Waldbrände aber nicht nur die Aufgabe der dauerhaften Bedrohung. Sie wirken auch als Metapher für den nahenden Gatten der abgestiegenen Frau, der ihr dicht auf der Spur ist und jeder Zeit im Ort aufkreuzen kann. Das macht das Hotel in mehrerer Hinsicht zu einem safe space. Diese Doppelfunktion zeigt, wie tiefgründig der Text hinter den ruhigen Sätzen eigentlich ist, wie viele Ebenen er hat, die man beim Lesen hinabsteigen kann. Vor allen aber wird damit die Kunstfertigkeit der Autorin bewiesen – Es ist ein großes Glück für uns, dass Franziska Gänsler mit diesem außergewöhnlichen Roman die große Literaturbühne betreten hat, und ich hoffe ganz inständig auf weitere Veröffentlichungen. Chapeau!


EWIG SOMMER erschien beim Kein & Aber Verlag. Ich danke der Autorin und dem Verlag für das Rezensionsexemplar. Mit einem Klick aufs Coverbild gelangt Ihr zur Verlagsseite, wo Ihr Informationen über Buch und Autorin findet.

Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

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