Joyce Carol Oates | BLOND

USA 2001 | 1024 Seiten
OT: »Blonde«
Aus dem amerikanischen Englisch von Uda Strätling,
Sabine Hedinger und Karen Lauer
Ecco Verlag
ISBN: 978-3-7530-0004-6

Da kam er, der Tod, flog im schwindenden Sepialicht über den Boulevard.

(Seite 17)

Gleich zu Beginn ein Geständnis: Ich wusste bislang so gut wie nichts über Marilyn Monroe. Megastar? Ja. Legende? Klar. Aber außer MANCHE MÖGEN’S HEISS und ihrem berühmten Foto auf dem U-Bahnschacht – und vielleicht ein bisschen »I wanna be loved by you, boop boopie do!« im Ohr –, klingelte bei diesem Namen nicht viel bei mir. Das hat sich nun mit der Lektüre von Joyce Carol Oates‘ Roman BLOND gründlich geändert und darüber bin ich sehr froh. Wie die amerikanische Kultautorin hier auf über tausend Seiten ein ganzes Leben aufblättert, ist ganz großes Kino.

Dabei nimmt sich Oates gleich in der Vorbemerkung etwas Wind aus den Segeln, indem sie explizit darauf hinweist, dass es sich bei BLOND um einen Roman handelt, ein künstlerisches Werk also, das sich an biografischen Eckpunkten nur grob orientiert, ansonsten aber verdichtet und zu großen Teilen fiktionalisiert. Trotzdem lernt man enorm viel über die wohl berühmteste Blondine der Filmgeschichte und auch über ihre dunkle, versteckte Seite. Die strahlende Schönheit Marilyn, die mit einem bloßen Blick ihre Fans um den Verstand bringen konnte, war nur ein Kostüm, das die verängstigte Norma Jeane darunter vor der Öffentlichkeit verbarg. Dieses Wechselspiel zwischen Ruhm und Elend weiß Oates perfekt in Szene zu setzen.


Dass Norma Jeane und Marilyn zwei völlig unterschiedliche Personen waren, ist der große Aufhänger dieses Romans und elementar für das Verständnis des Filmstars. Zeit ihres Leben litt Norma Jeane unter der fehlenden Liebe und Zuneigung ihrer depressiven Mutter. Auch von der Vaterseite kam nichts, da sich dieser vor ihrer Geburt schon aus dem Staub gemacht hatte. Doch Norma Jeane war eine treue Seele, kümmerte sich um die Mutter und gab nie auf, nach ihrem Vater zu suchen. Alles, was sie je wollte, war, geliebt zu werden. Durch ihre Attraktivität bekam sie schnell erste Rollen in Hollywood, das damals wie heute durchweg von Männern beherrscht und regiert wurde, die sich schamlos an ihr vergingen. Diese waren es auch, die ihr die Kunstfigur Marilyn Monroe überstülpten und so aus einer wirklich begabten Schauspielerin eine oberflächliche Männerphantasie machten. So sehr sich Norma Jeane auch wünschte, große darstellerische Kunst liefern zu dürfen, sie wurde immer nur für das naive Blondchen besetzt – und erlangte damit Weltruhm! Marilyn lächelte dabei all die Jahre lasziv ins Blitzlichtgewitter, doch Norma Jeane ging daran zu Grunde.

Ein weiterer großer Faktor für das frühe Ende des Filmstars waren die zahlreichen Beziehungen zu miesen Kerlen. Drei gescheiterte Ehen und jede Menge toxische Affären mit Männern, die nur der Monroe nachjagten, anstatt die Norma Jeane zu erkennen, waren zu viel für ihre zarte Seele. Mehrere Schwangerschaftsabbrüche setzten auch ihrem Körper zu, sodass sie viel zu früh aus dem psychischen und physischen Gleichgewicht kam und sich nur noch mit Tabletten aller Art und jeder Menge Alkohol in der Balance halten konnte. All diese Umstände, summiert über eine lange Zeit, führten zum frühen Tod der Schauspielerin mit nur 36 Jahren.


Über die wirklichen Gründe ihres Todes gibt es viele Theorien, die von Tablettenüberdosis über Suizid bis hin zu geplantem Mord reichen. Joyce Carol Oates entschied sich beim Ende von BLOND für eine These, die ebenso gewagt wie spannend ist. Überhaupt ist der ganze tausendseitige Roman ein recht gewagter Text. Er ist schonungslos ehrlich, psychologisch treffsicher, oft brutal und besonders zum Ende hin fast pornografisch. Die dreckigen Spielchen, die mit Marilyn getrieben werden, nehmen mit ihren gesundheitlichen Problemen deutlich zu – im letzten Viertel hat man nur noch Mitleid mit der Schauspielerin und empfindet tiefe Abscheu gegen diese ekelhaften Typen, die sich an ihr vergehen.

Am 4. August 2022 jährt sich der Todestag von Marilyn Monroe zum sechzigsten Mal – Zeit für mich, ein paar ihrer Filme zu sehen und somit die eine oder andere kulturelle Wissenslücke zu füllen. Passend dazu wurde der Roman mit Ana de Armas in der Hauptrolle verfilmt und erscheint Ende des Jahres auf Netflix. Bis dahin empfehle ich diesen Roman, allerdings mit einer Triggerwarnung: Wer ein Feel-good-Buch über einen Filmstar erwartet, wird von BLOND erschlagen werden. Es ist eine gnadenlose Abrechnung mit dem Hollywood der Fünfziger Jahre und eine dramatische Entzauberung eines Weltstars.


BLOND erschien im Ecco-Verlag, dem ich herzlichst für das Rezensionsexemplar danke. Mit einem Klick aufs Coverbild kommt ihr zur Verlagsseite, wo Ihr Informationen über Buch und Autorin findet.

Eine kleine Bitte noch: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

3 Gedanken zu “Joyce Carol Oates | BLOND

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