Richard Yates | RUHESTÖRUNG

USA 1975 | 316 Seiten
OT: »Disturbing the Peace«
Deutsche Verlags-Anstalt
ISBN: 978-3-421-04393-1

Im Spätsommer 1960 begann für Janice Wilder alles schiefzugehen. Und das Schlimmste daran war, sagte sie später immer wieder, das Schreckliche daran war, dass es aus heiterem Himmel zu geschehen schien. (Seite 7)

INHALT: Als Janice eines Abends einen Anruf von ihrem Mann John bekommt, ist nichts mehr, wie es vorher war. John ruft an, um ihr zu sagen, dass er nach einer zweiwöchigen Geschäftsreise nicht mehr zurück nach Hause kommen wird, aus Angst, er würde sie und ihren gemeinsamen Sohn Tom umbringen. Gewichtige Worte, ausgesprochen wie ein Schlag in den Magen. Janice, die sich ihrer Ehe und dem Vertrauen zu ihrem Mann stets sicher war, wendet sich besorgt an Paul, ihren gemeinsamen Freund, der John am gleichen Abend noch in einer Kneipe aufspürt, sturzbetrunken und völlig am Ende. Paul bleibt nichts anderes übrig, als John in eine psychiastrische Klinik einweisen zu lassen.

Nach Wochen kehrt John zu seiner Familie zurück, unzählige Tabletten im Gepäck und regelmäßiger Besucher der Anonymen Alkoholiker. Zunächst scheint alles wieder ins Lot zu kommen, aber der Suff lockt überall und die Unzufriedenheit in seinem Leben wächst. Die Langeweile, die Durchschnittlichkeit, der pubertierende Sohn – das alles schwemmt John in die Arme von Pamela, einer jungen Frau, die im Filmgeschäft Fuß fassen will. Ihr Leben ist aufregend, ihre Freunde sind kreativ, jung und frei, hier fühlt sich John wohl. Er trennt sich von Janice und zieht mit Pamela nach Hollywood, um dort (mit Ende dreißig) nochmal neu zu starten. Aber Kalifornien und die hartherzige Filmindustrie gibt John den Rest. Er verfällt gänzlich dem Alkohol, leidet unter Schlafmangel und Angstzuständen und züchtet sich eine gewaltige Paranoia an. In ihm schlummert ein Vulkan und wehe dem Tag, an dem er ausbricht.

FORM: Richard Yates (1926-1992) erzählt in gewohnt nüchternen und ruhigen Sätzen die Geschichte eines Verlierers, eines Mannes, dem es vorherbestimmt scheint, seine Ziele nicht zu erreichen – Happy-End fraglich. Jedoch bezieht Yates keinerlei Stellung; er überlässt es dem Leser, ob die (ziemlich unsympathische) Hauptfigur Mitleid oder Verachtung verdient. Die Story umfasst den Zeitraum der frühen 1960er Jahre und, mit einem großen Zeitsprung, auch das Jahr 1970.

Zu den Höhepunkten des Textes zählen die Beschreibungen von Wilders Psychosen und Wahnvorstellungen, die mich beim Lesen immer wieder aufs Glatteis führten. Auch die Szenen, die in der psychiatrischen Klinik spielen sind großartig, weil sie authentisch wirken. Schaut man in seinen Lebenslauf, wird schnell klar, dass Yates in diesem Roman viel aus seinen eigenen Erlebnissen verarbeitet hat. Auch er hatte viele Jahre mit schwerem Alkoholismus zu kämpfen, hatte mehrere Zusammenbrüche mit anschließenden Einweisungen und auch auf eine kurze Zeit in Hollywood konnte er zurückgreifen.

Yates, dem traurigen Helden der amerikanischen Literatur, war Zeit seines Lebens kein Erfolg vergönnt. Erst in den letzten Jahren (und spätestens seit der Verfilmung seines grandiosen Debütromans ZEITEN DES AUFRUHRS) konnte sein Werk beim Publikum den Anklang findet, den es verdient.

FAZIT: Für mich ist Richard Yates einer der ganz Großen seiner Zunft. Ich mag den trockenen Stil mit dem er seine Loser-Stories erzählt, ohne je den moralischen Zeigefinger zu heben. Es ist wunderbar, dass sein Gesamtwerk mittlerweile komplett bei der Deutschen Verlags-Anstalt vorliegt – eine Anschaffung, die sich wirklich lohnt. Für RUHESTÖRUNG gibt’s von mir glänzende fünf Sterne.

2 Gedanken zu “Richard Yates | RUHESTÖRUNG

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