Milena Michiko Flašar | OBEN ERDE, UNTEN HIMMEL

A 2023 | 304 Seiten
Verlag Klaus Wagenbach
ISBN: 978-3-8031-3353-3

Ich war gerne allein. Und eigentlich hat sich daran auch nichts geändert.

(Seite 11)

Ich würde diese Rezension gern mit einem Querverweis in die Musikwelt beginnen: Eines der besten Progressive Rock-Albem der letzten Jahre ist meiner Meinung nach HAND. CANNOT. ERASE. des britischen Musikers Steven Wilson. Die komplexe Story des Konzeptalbums wurde durch einen Todesfall inspiriert, der in London ein paar Jahre zuvor für Schlagzeilen gesorgt hatte. Die 38-Jährige Joyce Vincent wurde leblos in ihrer Wohnung aufgefunden, nachdem sie mehr als zwei volle Jahre tot dort gelegen hatte. Niemand hatte sie vermisst, keiner nach ihr gesucht – ein verdammt einsamer Tod.

In Japan scheint es dieses heimliche Dahinscheiden in sozialer Isolation weitaus öfter zu geben. Allein im Großraum Tokio sterben auf diese Weise jährlich um die 3.000 Menschen. Es gibt dafür sogar den wohlklingenden Begriff Kodokushi – einsamer Tod. In Milena Michiko Flašars neuem Roman OBEN ERDE, UNTEN HIMMEL geht es um einen Putztrupp, der in Wohnungen von auf diese Weise Verstorbenen sauber macht. Die Leichen sind dann schon weggeräumt worden, aber meist haben sie vor ihrem Fund Wochen, manchmal sogar Monate dort gelegen – im Bett, im Sessel, in der Badewanne oder einfach auf dem Boden. Naturgemäß setzt nach einiger Zeit die Verwesung ein und der Körper beginnt… aber ich möchte jetzt nicht tiefer ins Detail gehen.


Flašar, eine österreichisch-japanische Autorin, hat sich hier eines äußerst pikanten Themas angenommen und leuchtet einen Berufskreis aus, der mit eher geringer Wahrscheinlichkeit auf der Liste der hundert Jobs steht, die man vor dem Tod mal ausprobiert haben sollte. In der Vergangenheit gab es ja schon ein paar Versuche, diese Thematik künstlerisch zu bearbeiten – bekanntestes Beispiel ist wohl die NDR-Serie DER TATORTREINIGER. Und auch wenn die Kodokushis bei Flašar keine Mordfälle sind, sondern weitaus dramatischere Freitode, bekam ich beim Lesen den guten alten Schotty mit seinem riesigen Putzkoffer nicht aus dem Kopf. Flašar versucht es auch eher auf die lockere, hier und da saloppe Art, dabei ist der Roman jedoch keinesfalls witzig, die Autorin nimmt dem Thema nur etwas die Schwere.

Flašars Stil ist zum größten Teil schnörkellos, ihre Sätze sind meist trocken, manchmal unnötig kompliziert. Damit stellt sie sich in eine Erzählkunst, die mir bei japanischen Autorinnen und Autoren schon oft aufgefallen ist. Alles ist immer sehr gesetzt, sehr ordentlich und genau. Leider bin ich kein großer Freund dieser Erzählweise, ich mag es lieber bunt und laut und gerne mal etwas schräg. Flašars einzigen Ausbrüche aus einem sonst völlig prosaischen Stil sind Wörter wie A-ha! und Puh! die die Ich-Erzählerin Suzu – eine Mitarbeiterin des Putztrupps – in der Narrative von sich gibt, doch so etwas finde ich immer eher billig als gekonnt.

Ich muss leider zu dem Fazit kommen, dass mich der Roman nicht so begeistern konnte, wie ich es erhofft hatte. Das Thema der einsam Sterbenden ist äußerst dramatisch und steckt voller Geschichten, Flašar jedoch gelang es bei mir nur bedingt, größeres Interesse für die Story zu wecken. Schade.


OBEN ERDE, UNTEN HIMMEL erschien im Verlag Klaus Wagenbach, dem ich herzlichst für das Rezensionsexemplar danke. Mit einem Klick aufs Coverbild gelangt Ihr zur Verlagsseite, wo Ihr weitere Informationen über Buch und Autorin findet.

Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

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