Salman Rushdie | VICTORY CITY

UK 2023 | 416 Seiten
OT: »Victory City«
Aus dem Englischen von Bernhard Robben
Penguin Verlag
ISBN: 978-3-328-60294-1

Am letzten Tag ihres zweihundertsiebenundvierzig Jahre währenden Lebens beendete die blinde Poetin, Wundertätige und Prophetin Pampa Kampana ihr gewaltiges Prosagedicht über Bisnaga und begrub es in einem wachsversiegelten Tonkrug im Herzen des verfallenden Königsbezirks, eine Botschaft an die Zukunft.

(Seite 11)

Salman Rushdie ist ein Autor, dessen Bücher nie gänzlich für sich allein stehen können, immer schwingt irgendwie das tragische Schicksal dieses Ausnahmeschriftstellers mit. Selbst diejenigen, die noch nie einen Roman von ihm gelesen und nur entfernt von ihm gehört haben, sagen bei dem Namen: »Rushdie? Das ist doch der, der wegen diesem einen Buch…« Jepp, genau der.

Nach der Veröffentlichung seines vierten Romans DIE SATANISCHEN VERSE wurde 1989 vom damaligen iranischen Ajatollah Chomeini per Fatwa ein Todesurteil über Rushdie ausgesprochen, und alle Muslime zur Vollstreckung aufgerufen. Gekoppelt an ein Kopfgeld – das mehrfach erhöht und mittlerweile fast 4 Millionen Dollar beträgt – lebt Salman Rushdie seit über dreißig Jahren im Exil in ständiger Sorge um sein Leben. Erst letztes Jahr wurde er erneut Opfer eines Anschlages, seitdem ist er auf einem Auge blind und kann seine Schreibhand nicht mehr benutzen.

Diesen Hintergrund bei der Lektüre seiner Bücher nicht zu berücksichtigen, ist fast unmöglich. Und auch bei seinem märchenhaften Roman VICTORY CITY ist man versucht, metaphorisch verpackte Parallelen zu seinem Leben zu finden – und es gibt sie, natürlich gibt es sie…


Im vierzehnten Jahrhundert fährt eine der unzähligen hinduistischen Göttinnen in den Körper des Waisenmädchens Pampa Kampala. Diese ist daraufhin mit der Macht ausgestattet, aus einfachen Gemüsesamen eine Stadt aus dem Boden wachsen zu lassen: Bisnaga, die Stadt des Sieges, mitsamt Bewohnern, Palästen und zugehörigem Großreich. Zusätzlich ist Pampa mit einer außergewöhnlich langen Lebenserwartung gesegnet – oder bestraft –, was sie zur einzigen Zeitzeugin macht, die das entstandene Reich von der Gründung bis zum Untergang fast zweihundertfünfzig Jahre später miterlebt. Sie selbst herrscht nie so richtig über das Land, wechselt aber oft die Positionen. Sie ist Königsgemahlin, Geliebte und Ministerin, aber auch stille Beobachterin, Ausgestoßene und Gefangene. Während ihrer Lebenszeit sieht sie die männlichen Herrscher kommen und gehen – gute und schlechte, sanfte und kriegerische –, und kann nichts dagegen machen, dass diese Männer ihre Wunderwelt zu Grunde richten.

Eingerahmt ist die Geschichte um Pampa Kampana mit dem Fund ihrer Schriften in der heutigen Zeit. Ein Forscherteam hat das ellenlange Versepos in Südindien gefunden und aus dem Sanskrit übersetzt. Alle paar Kapitel meldet sich einer der Forscher selbst zu Wort und entschuldigt sich dafür, wie stümperhaft das unerreichbare Meisterwerk dieser gottgleichen Chronistin übertragen wurde – Pampa Kampana kann man mit der heutigen Sprache nicht das Wasser reichen.


Diese Entschuldigungen sind natürlich mit einem Augenzwinkern zu bewerten, denn stümperhaft ist in VICTORY CITY gar nichts. Ganz im Gegenteil, die Geschichte liest sich wie ein prachtvolles orientalisches Märchen – Zauberei und Machtintrigen, Schlachten und Liebesverquerungen inklusive. Der Roman ist ein tiefe Fundgrube an Einfällen und blickt in all seiner Fantasie nicht selten auf heutige Machtstrukturen. Und am Ende wird auch die Parallele zu Rushdie selbst deutlich: Im hohen Alter verliert Pampa Kampana durch fremde Hand das Augenlicht und ihr letzter Satz – »Worte sind die einzigen Sieger.« – ist eine klare Botschaft an seine Gegner. Salman Rushdie ist ein unermüdlicher Kämpfer für das Wort und gegen die Gewalt.

Ein großes Highlight in diesem Jahr – unbedingt lesen!


VICTORY CITY erschien in der Übersetzung von Bernhard Robben im Penguin Verlag, dem ich herzlichst für das Rezensionsexemplar danke. Mit einem Klick aufs Coverbild gelangt Ihr zur Verlagsseite, wo Ihr Informationen über Buch und Autor, sowie eine Leseprobe findet.

Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

2 Gedanken zu “Salman Rushdie | VICTORY CITY

  1. […] Bookster HRO, 5. Juni 2023»Die Geschichte liest sich wie ein prachtvolles orientalisches Märchen – Zauberei und Machtintrigen, Schlachten und Liebesverquerungen inklusive. Der Roman ist ein tiefe Fundgrube an Einfällen und blickt in all seiner Fantasie nicht selten auf heutige Machtstrukturen. Und am Ende wird auch die Parallele zu Rushdie selbst deutlich: Im hohen Alter verliert Pampa Kampana durch fremde Hand das Augenlicht und ihr letzter Satz – ›Worte sind die einzigen Sieger.‹ – ist eine klare Botschaft an seine Gegner. Salman Rushdie ist ein unermüdlicher Kämpfer für das Wort und gegen die Gewalt.« […]

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