Rosmarie Waldrop | PIPPINS TOCHTERS TASCHENTUCH

USA 1986/2019 | 275 Seiten
OT: »The Hanky of Pippin’s Daughter«
Aus dem Englischen von Ann Cotten
Suhrkamp Verlag
ISBN: 978-3-518-22518-9

Der Bestseller der letzten Saison war »Gier«. Ein nützliches Wort, wirst du herausfinden.

(Seite 9)

Selten, ganz selten, gibt es Bücher, bei denen ich schon große Schwierigkeiten habe, wenigstens den Inhalt in groben Zügen wiederzugeben. Der Briefroman PIPPINS TOCHTERS TASCHENTUCH der deutsch-amerikanischen Dichterin Rosmarie Waldrop ist ein solches Buch. Jetzt, nach der letzten Seite, fühle ich mich stark verwirrt und bin mir unschlüssig darüber, was genau ich da gerade gelesen habe. Ein Familienroman, so viel ist klar, aber da steckt noch so viel mehr dahinter. Ich muss mich erstmal sortieren – Seht es mir nach! – und fange ganz einfach mit dem Figurenensemble an. Mal sehen, ob ich von da aus weiterkomme.

Da gibt es drei Schwestern, die kurz vor der Machtergreifung Hitlers in Deutschland geboren werden: Die höchst unterschiedlichen Zwillinge Andrea und Doria (kein Witz), und Lucy, die Jüngste im Bunde. Andrea wird später Nonne in einem Kloster, Doria dagegen vielfache Mutter. Lucy wandert nach dem Krieg nach Amerika aus. Von dort aus schreibt sie Andrea lange Briefe, jene Schriftstücke, aus denen sich schließlich dieser Roman ergibt. In den Briefen ergründet Lucy die Geschichte ihrer Eltern Frederika und Josef, schreibt nieder, was sie über die beiden erfahren konnte und wie sie über all das denkt. Denn die Frage, ob es sich bei den Eltern in Bezug auf das NS-Regime um Mitläufer, Opportunisten oder Dissidenten handelte, ist nicht leicht zu klären. Tatsache ist, dass Frederika eine Affäre hatte – mit einem Juden – und es steht die Vermutung in Raum, dass die Zwillinge nicht von Vater Josef stammen, ein Umstand, der nach 1933 die ganze Familie bedrohen konnte.


Jetzt, wie es da so geschrieben steht, wirkt es gar nicht mehr kompliziert. Warum aber bin ich dann trotzdem so durcheinander? Vielleicht liegt es an Waldrops intensiver Sprache, an ihren Sätzen, die vor lauter Metaphern und stilistischer Spielereien nur so triefen. Der Roman ist über alle Maßen poetisch. Aber was heißt das überhaupt: Poetisch? Ich vergebe dieses Attribut ja auch oft und meine damit meist Texte, die sich – zusätzlich zur reinen Vermittlung von Information – die Freiheit nehmen, mit der Sprache zu spielen, gewisse Regeln für den Inhalt zu verbiegen und experimentierfreudiger daherkommen als gewöhnlich. Ein gewisser Grad an Poesie ist in der Belletristik sehr zu begrüßen, das ist meine grundsätzliche Meinung.

Dennoch war es mir hier vielleicht zu viel an Experimenten. Ich habe das Buch in relativ kurzer Zeit gelesen und brauchte nicht lang, um mich in dem Text zu verlieren. Aber die Sätze rauschten nur so durch mich hindurch. Ich habe die Informationen über die Geschichte – zumindest im Moment der Lektüre – sehr wohl wahrgenommen, durch das dicke Gestrüpp der waldropschen Poesie aber blieb am Ende kaum etwas hängen. Vielleicht hätte ich mir für dieses Buch mehr Zeit nehmen, die zweifellos wohldurchdachte Prosa mehr genießen müssen. Vielleicht eignet sich dieser Roman nicht für eine schnelle Lektüre von ein paar Stunden an zwei Sommerabenden. Und die letzte Vermutung für heute: Vielleicht sollte ich das Buch in ein paar Jahren und mit etwas mehr Zeit und Muße nochmal lesen.


PIPPINS TOCHTERS TASCHENTUCH erschien in der Übersetzung von Ann Cotten als Teil der Bibliothek Suhrkamp. Ich danke dem Verlag für die Unterstützung. Mit einem Klick aufs Coverbild gelangt Ihr zur Verlagsseite, wo Ihr Informationen über Buch und Autorin, sowie eine Leseprobe findet.

Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

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