Callan Wink | BIG SKY COUNTRY

USA 2020 | 379 Seiten
OT: »August«
Aus dem amerikanischen Englisch von Hannes Meyer
Suhrkamp
ISBN: 978-3-518-42983-9

Bonnie und Dar saßen am Ende des Stegs hinter dem Ferienhaus von Bonnies Eltern.

(Seite 7)

Ein uralter Traum von mir ist es, die Vereinigten Staaten von der Ostküste zur Westküste zu durchqueren. Von Boston nach Seattle, immer auf der Interstate 90 in Richtung Sonnenuntergang. Der Atlantik, Neuengland, die Großen Seen, der Mittlere Westen, die Rocky Mountains und schließlich der Pazifik – muss herrlich sein. Auf dem letzten Drittel käme ich dann auch durch den Bundesstaat Montana mit seinen endlosen Getreidefeldern im Osten und den schneebedeckten Berggipfeln im Westen. Keine Menschenseele meilenweit, nur grasende Bisonherden und das Rascheln des Weizens im ewigen Wind…

Genau hierhin führt es August, den jungen Helden in Callan Winks erstem Roman BIG SKY COUNTRY. Nach der Scheidung der Eltern zieht er mit seiner Mutter von Michigan nach Montana, wählt trotz guter Noten das College ab und entscheidet sich für ein arbeitsames Leben weit draußen auf einer Ranch. Es gibt viel zu tun: Ernte bestellen, Heu machen, Zäune bauen, Gerätschaften reparieren. Sein Arbeitgeber Ancient ist ein guter Kerl mit dem Herz am rechten Fleck, die Bezahlung stimmt und auch die Nachbarn scheinen nette Leute zu sein. Doch wie überall sonst auch liegen dunkle Geheimnisse im wortkargen Miteinander, alte Fehden, die August erst nach und nach erkennt. Jeder hat sein Päckchen zu tragen und ein paar Lügen aufrechtzuhalten, sonst ist der oberflächliche Seelenfrieden schneller dahin, als man Mähdrescher sagen kann.


BIG SKY COUNTRY ist ein Buch über waschechte Männer, über harte Kerle, die sich der Natur stellen und in ehrlicher Arbeit ihren Frieden finden. Die Männer in diesem Roman sind einsame Wölfe, sie reiten über ihre Felder, bedienen große Maschinen und reden über das Wetter, während sie gedankenverloren zu den Bergen am Horizont blicken, eine Zigarette im Mundwinkel und den Cowboyhut im Nacken. Sie essen Fleisch, trinken Whiskey und zum Zeitvertreib gehen sie angeln oder schleppen beim Rodeo die Mädels ab. Und wenn es Streit gibt, wird sich ordentlich aufs Maul gehauen, danach gibt’s ’ne Runde Bier und alles ist wieder gut.

Callan Wink (*1984) ist ein Autor nach altamerikanischer Tradition. Seine Sätze preisen die Schönheit der Natur und sind erfüllt von stiller Sehnsucht nach Freiheit. Sicher hat das eine gewisse Romantik, aber ist das nicht alles ein bisschen aus der Mode gekommen? Ist das für die heutigen Ansprüche nicht viel zu lahm und klischeebeladen? Ich mag ja ausschweifende Naturbeschreibungen und habe auch nichts gegen diese alberne Marlboro-Männlichkeit, aber für einen Roman darf es dann doch bitte etwas tiefer gehen. An manchen Stellen musste ich mich echt nochmal davon überzeugen, dass das Buch tatsächlich ein aktueller Roman eines jungen Schriftstellers ist und nicht doch ein in der Mottenkiste gefundenes Manuskript eines längst verstorbenen Farmers, der in einer Mußestunde mal zu Bleistift und Papier gegriffen hat. Zwar spricht der Autor auch ein paar heiklere Themen an – den sozialen Stand der Hutterer beispielsweise, einer religiösen Gemeinschaft ähnlich den Amischen, oder das Problem mit den bis unter die Zähne bewaffneten Preppern und paranoiden Verschwörungstheoretikern –, aber immer, wenn es gerade etwas interessanter wird, schwenkt Wink wieder zur schönen Natur, der harten Arbeit und dem wechselndem Wetter, sodass jede Dramatik verpufft. Das ist weder Coming-of-Age noch Bildungs- oder Entwicklungsroman – August wird zwar älter und wächst zum Mann heran, aber eine Entwicklung ist nicht zu erkennen; er und alle anderen bleiben einfältig und eindimensional. Manchmal, wirklich selten erahnt man einen Hauch von Weisheit in den Dialogen, ein kurzes Aufflackern der Erkenntnis über den Lauf der Welt. Aber dann – doch wieder das Wetter und alles wird rückblickend zum pseudophilosophischen Gelaber.

Der Begriff Frauenliteratur, mit dem meist jene Herz-Schmerz-Romane über aussichtslose Liebschaften voller tränenreichem Kitsch gemeint sind, ist heutzutage völlig zurecht verpönt, weil er das komplette weibliche Geschlecht über einen Kamm schert und suggeriert, dass alle Frauen für solche Texte empfänglich wären. Das Gegenteil davon ist dann wohl die Männerliteratur – ein ebenso despektierlicher Begriff –, und ich befürchte, BIG SKY COUNTRY fällt in exakt in diese Rubrik. Es ist ein Buch für Leute, die im Fernsehen gern dabei zusehen, wie behaarte Holzfäller umgekippte Bäume aus reißenden Flüssen zerren oder bebasecapte Trucker in speckigen Hemden ihre Vierzigtonner von A nach B kutschieren. Ich will das nicht schlechtreden, denn genau wie die Liebesschmonzetten haben auch die Harte-Kerle-Geschichten ihre Daseinsberechtigung und ihr Publikum … nur gehöre ich nicht dazu. An meinem Traum von der Reise quer durch Amerika halte ich trotzdem fest.


BIG SKY COUNTRY erschien beim Suhrkamp Verlag, dem ich herzlichst für das Rezensionsexemplar danke. Mit einem Klick aufs Coverbild kommt ihr zur Verlagsseite, wo Ihr Informationen über Buch und Autor, sowie eine Leseprobe findet.

Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

7 Gedanken zu “Callan Wink | BIG SKY COUNTRY

    • Muss mich erstmal durch die Rezeption lesen. Ich lese vorher ungern andere Besprechungen, damit ich unbefangen bleibe. Hier scheint sich ja ein Trend abzuzeichnen. Schade, eigentlich gut geschrieben, aber viel zu altbacken männlich. Das ist einfach nicht mehr zeitgemäß. LG

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      • Halte ich eigentlich in der Regel wie du, aber bei dem ein oder anderen Buch, höre ich dann doch gerne die Meinung von Rezensenten meines Vertrauens. Und ja, hier ist der Trend ziemlich eindeutig – und da es bei mir nicht an Lektüre mangelt, bin ich nicht traurig, einen Titel von der ellenlangen Liste zu streichen. 😉 LG zurück

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  1. Ich hatte nach den Kurzgeschichten des Autors „Der letzte beste Ort“ etwas ungeduldig auf seinen ersten Roman gewartet und war dann auch enttäuscht.
    Anfangs werden die bereits veröffentlichten Kurzgeschichten teils wörtlich noch einmal verwurstet; dann schleppt sich die Story dahin und ein Klischee folgt aufs andere. Schade, dass die Hauptfigur August gar keine Entwicklung durchmacht. So, wie sie als Kind angelegt war, hatte ich damit gerechnet, dass an dieser Stelle mehr kommen würde. Spannend fand ich die ausführlichen Beschreibungen der Hutterer-Gemeinschaft, über die liest man im deutschsprachigen Raum sehr wenig. Sind dir vielleicht schon mal lesenswerte Romane oder Sachbücher zu der Gemeinschaft über den Weg gelaufen?
    Viele Grüße!

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