Rebecca F. Kuang | YELLOWFACE

USA 2023 | 383 Seiten
OT: »Yellowface«
Aus dem Englischen von Jasmin Humburg
Eichborn Verlag
ISBN: 978-3-8479-0162-4

In der Nacht, in der ich Athena Liu sterben sehe, feiern wir ihren Vertrag mit Netflix.

(Seite 7)

An einem Roman dieses Frühjahrs kommt man scheinbar nicht vorbei: Rebecca F. Kuangs YELLOWFACE. Mit den geflüsterten Worten »Der heiße Scheiß von morgen!« wurde mir eine frühe Fassung des Textes schon auf der Frankfurter Buchmesse im letzten Oktober zugesteckt, seit Monaten fiebert die Social-Media-Community der Veröffentlichung entgegen. Jetzt steht das Endprodukt in den Buchläden des Landes und ich kann bestätigen: Die Aufregung um diesen außergewöhnlichen Roman kommt nicht von ungefähr.

YELLOWFACE erzählt die Geschichte der jungen Autorin Juniper Song, die mit ihrem Roman »Die letzte Front« die Bestsellerlisten erklimmt und ein Rekord nach dem anderen bricht. In ihr berichtet sie von chinesischen Arbeitern, die während des Ersten Weltkriegs von den Allierten als Kanonenfutter missbraucht wurden, ein Kapitel, dass über Jahrzehnte totgeschwiegen und nie ganz aufgearbeitet wurde. Von der asiatisch-amerikanischen Bevölkerung wird Song seither gefeiert wie keine andere Autorin. Was aber nie herauskommen darf: Das Buch ist nicht von ihr. Sie hat den Stoff von ihrer erfolgreichen Bekannten Athena Liu. Als diese bei einem privaten Treffen an einem Pancake erstickt, schnappt sich Song in der Aufregung das Manuskript, schustert einen Roman daraus und heimst den Ruhm für das Plagiat ein.

Das Verhältnis der beiden jungen Frauen war nie gänzlich freundschaftlich, denn Song war stets neidisch auf Liu, die lange schon als literarisches Wunderkind gehandelt wurde. Zu Songs Verteidigung ist zu sagen, dass sie Liu stets als große Inspiration für ihr Schreiben gesehen hat und daraus auch kein Geheimnis macht. Nicht zu verzeihen dagegen ist, dass Song ihr Publikum an der Nase herumführt: Anders als Liu ist Song weiß, eine Amerikanerin wie aus dem Buche, eine American Karen. Ihr amtlicher Name ist June Hayward, der Name Song klingt aber so schön asiatisch, dass ihr die Verkaufszahlen der Asia-Community sicher sein konnten – ein klarer Fall von Yellowfacing.


Rebecca F. Kuang schreibt gewitzt und locker, erhöht mit jedem Kapitel den Druck auf ihre Protagonistin – denn natürlich kommt man ihr auf die Schliche – und beweist ein gutes Gespür für Cliffhanger. Der Insider-Blick in die amerikanische Literaturbranche – die sich von der deutschen wohl nur wenig unterscheidet – ist geanuso interessant wie die psychologische Entwicklung der Heldin. Wie einst Raskolnikow in Dostojewskis VERBRECHEN UND STRAFE macht sich June in einem schwachen Moment schuldig und geht im weiteren Verlauf an dieser Schuld zugrunde. Das ist ganz großartig geschrieben und Kuang – selbst eine Art Wunderkind – konnte mich nach BABEL ein weiteres Mal überzeugen.

Die Geschichte hat mich in ihren Grundzügen stark an Marlen Hobracks Debütroman SCHRÖDINGERS GRRRL aus dem letzten Frühjahr erinnert. Auch dort ging es um die wissentliche Vortäuschung von Urheberschaft, allerdings ohne die rassistische Komponente, dafür aber mit einer ordentlichen Portion Geschlechterstudien. Vergleichen mag ich die beiden Bücher nicht, aber wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich zu Hobrack halten, weil ihr Roman besser in unsere Gesellschaft passt.

Unabhängig davon empfehle ich YELLOWFACE von ganzem Herzen – ein toller Roman, der spannend und tiefgründig eine unglaubliche Geschichte erzählt. Wer weiß, wie oft das schon passiert ist, ohne dass es jemand bemerkt hat…?


YELLOWFACE erschien in der Übersetzung von Jasmin Humburg im Eichborn Verlag, dem ich herzlichst für das Rezensionsexemplar danke. Mit einem Klick auf das Coverbild gelangt Ihr zur Verlagsseite, wo Ihr Informationen über Buch und Autorin, sowie eine Leseprobe findet.

Das Bloggen über Bücher und Literatur ist ein Hobby und soll auch eines bleiben. Allerdings kostet es auf lange Sicht viel Geld und vor allem viel Zeit. Wenn Ihr mich also unterstützen wollt, könnt Ihr das über PayPal tun. Vielen Dank dafür!

Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

Hinterlasse einen Kommentar