Burkhard Spinnen | RÜCKWIND

D 2019 | 400 Seiten | 24 Euro
Schöffling Verlag
ISBN: 978-3-89561-049-3

Trössner, was ist? Stellst du dir vor, du bist derjenige, dessen Namen wir tunlichst vermeiden? (Seite 7)

Als ich Burkhard Spinnens RÜCKWIND neulich aus dem Briefkasten fischte, wusste ich gar nicht mehr, aus welchem Grund ich es bestellt hatte. Vor Monaten schon hatte ich die Ankündigung in der Broschüre der Schöffling-Herbstnovitäten gesehen und mir ein Exemplar vormerken lassen. Der Klappentext versprach eine moderne Hiobsgeschichte, machte ansonsten aber gar nicht so viel her. Vielleicht lag es auch am Coverbild? Rapsfelder und Windräder – exakt so sieht es aus, wenn man im Frühling einen Schritt aus Rostock herausmacht. Dass ich letzten Endes aber ein dermaßen witziges, spannendes und rundum gelungenes Buch würde lesen dürfen, damit hatte ich beim besten Willen nicht gerechnet.


Der tragische Held in RÜCKWIND ist Hartmut Trössner, milliardenschwerer Energieunternehmer, der die kleine Firma seines Vaters mit Instinkt und Weitblick von der bescheidenen Mittelstandsklitsche zum weltweit agierendem Top-Konzern aufbaut – und das, obwohl er den Betrieb eigentlich gar nicht wollte. Dem jungen Trössner reichte es damals aus, in den Tag hineinzuleben und mit ein bisschen Taschengeld seinen Alltag zu bestreiten.  Nur durch einen Versehen trat er das Erbe an … und machte in der Folge alles richtig.

Früh erkennt er, dass die Zukunft der Stromerzeugung in den erneuerbaren Energien liegt, und setzt alles auf das Konzept Windrad. Da er der Erste auf diesem größtenteils noch unerforschten Gebiet ist und hartnäckig seinem Weg folgt, arbeitet er sich über die Jahrzehnte zum einflussreichen Magnaten hoch. Auch privat läuft es prächtig: Seine Frau ist eine beliebte Fernsehschauspielerin und auch die Thronfolge ist schon geregelt. Die Fassade ist makellos, das Image perfekt – keine Skandale, keine krummen Machenschaften. Ein sauberer Mann für eine saubere Zukunft.

Doch dann kommt der Tag, an dem Trössner alles verliert. Und wenn ich sage alles, dann meine ich auch ALLES! Die Firma, die Frau, das Kind, den Verstand. Am Ende einer unfassbaren Kette von Zufällen und einer monatelangen, erfolglosen Therapie steht Trössner vor den Scherben seines Lebens. Wie soll man weitermachen, wenn es einen so hart erwischt hat? Welcher Ausweg bleibt, abgesehen vom Selbstmord? Trössner hat die Pistole schon in der Hand, da besinnt er sich und kauft eine Zugfahrkarte nach Berlin – und hier beginnt der Roman.


Der Geniestreich dieses Buches ist die Art, wie Burkhard Spinnen uns die traurige Geschichte Trössners serviert, nämlich ganz geschickt durch eine innere Stimme des tragischen Helden. Vielleicht ist es das Gewissen, das da spricht? Oder die Vernunft? Tatsache ist, dass Trössner und die Stimme zwar in einem Körper stecken, aber getrennt voneinander denken, wobei die Stimme weitaus klüger und zurechnungsfähiger ist … was in Anbetracht von Trössners Lage aber auch nachvollziehbar ist.

Spinnen setzt uns also keinen Ich-Erzähler vor, sondern einen Ich-im-Ich-Erzähler, blitzgescheit und zutiefst sarkastisch, der Trössner ständig in die Seite piekst und aufzieht, ihm aber auch aus der Patsche hilft, wenn der sich rhetorisch verheddert. Er ist gleichermaßen Engel und Teufel auf den Schultern seines Wirtes. Auf der Reise nach Berlin lernt Trössner scheinbar zufällig die junge Iris kennen, der er seine Lebensgeschichte offenbart. Die heiklen Stellen, die nicht über Trössners Lippen kommen, übernimmt der Ich-im-Ich-Erzähler. Und so entseht nach und nach eine umfassende Biografie, die in eine furchtbare Tragödie mündet und in Berlin auf ihr Ende zusteuert.

Ich habe gelacht, ich war erschüttert, ich war berührt – dieser Roman hat alles, was ich mir von einem Buch nur wünschen kann. Burkhard Spinnen (*1956) war mir trotz der langen Liste an Veröffentlichungen bisher noch nicht unter die Lesebrille gekommen, was sich ab jetzt ändern wird. Dieser Roman ist ein Erlebnis – unbedingt lesen!


spinnen_ruekwindRÜCKWIND erschien beim Schöffling-Verlag, dem ich herzlichst für das Rezensionsexemplar danke. Alle Informationen über Buch und Autor, sowie eine Leseprobe findet Ihr hier. Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

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