UK 1915 | 306 Seiten
OT: »The Good Soldier«
Aus dem Englischen von Fritz Lorch und Helene Henze
Mit einem Nachwort von Julian Barnes
Diogenes Verlag
ISBN: 978-3-257-07038-5
Dies ist die traurigste Geschichte, die ich je gehört habe. (Seite 13)
John Dowell und seine herzkranke Frau Florence – Ostküsten-Amerikaner aus gutem Hause – sind Dauerkurgäste in den Spas und Erholungsbädern Europas. In Bad Nauheim lernen sie den britischen Hauptmann Edward Ashburnham – der gute Soldat aus dem Originaltitel – und dessen Frau Leonora kennen und freunden sich mit ihnen an. Zunächst scheint alles normal, doch nach und nach wird deutlich, dass fast alle in diesem Quartett Liebschaften miteinander und Geheimnisse voreinander haben.
Einzig John, der Ich-Erzähler, bekommt von alldem nichts mit. Die Herzleiden seiner Frau Florence sind seit Jahren nur vorgespielt, damit sie ihn sexuell auf Abstand halten kann; Edward hat – neben vielen anderen – mit Florence eine langjährige Affäre; Leonora weiß davon, doch die Ehe der beiden ist ein ewiger, krankhafter Machtkampf. John wandelt wie mit Scheuklappen durch diese Zeit. Erst Florence‘ Selbstmord deckt die Einzelheiten ihres sündigen Lebens und den Vertrauensbruch seines Freundes Edward auf.
John erfährt von Leonora die ganze, traurige Geschichte und schreibt in monatelanger Arbeit alles nieder. Diese Aufzeichnungen sind das Buch, das wir lesen, doch uns wird schnell klar, dass John – und hier wird die Klasse des eigentlichen Autors Ford Madox Ford (1873-1939) deutlich – kein guter Schriftsteller ist: Er übertreibt, er mutmaßt, er springt ungelenk zwischen den Zeiten, widerspricht und wiederholt sich, ist befangen – und damit parteiisch – und verrät gleich zu Beginn, wie alles endet.
Dieser Art des Erzählens zu folgen, ist nicht immer leicht. Ehrlich gesagt, habe ich dem ganzen Reigen, wer da nun wen verführt und wer sich von wem scheiden lassen will, zum Ende hin kaum noch Beachtung geschenkt. Das ganze Techtelmechtel um den höchst unsympathischen Edward war für mich von rasant schwindendem Interesse. Dennoch ließ mich dieser Erzähler nicht los. Trotz aller literarischer Unzulänglichkeiten war es mir eine Freude, diesem von allen betrogenen, diesem gehörnten, treudummen Mann zuzuhören. Von diesem John geht ein Sog aus, dem ich mich nur schwer entziehen konnte. Er spricht seine Leser direkt an, bezieht sie in seine Welt mit ein und macht sie auf diese Weise zu Zeugen und Komplizen. Es ist quasi unmöglich, nicht auf Johns Seite zu stehen; man muss ihm einfach immer weiter zuhören.
Mehrmals versucht John zu erklären, was denn nun das Traurige an der Geschichte ist – selbst der Titel und der erste Satz sind eine maßlose Übertreibung –; ich jedoch finde, John selbst ist die allertraurigste Figur, was ihn gleichzeitig zur interessantesten macht. Und auch wenn John eigentlich über Edward als Hauptfigur schreibt, schreibt Ford Madox Ford in Wahrheit über John als Hauptfigur. Diese Verschiebungen, diese Spielchen mit den Perspektiven und den Lesern, machen den Roman aus, der – 1915 erschienen – seiner Zeit weit voraus war.
DIE ALLERTRAURIGSTE GESCHICHTE ist in einer Prachtausgabe mit Schuber bei Diogenes erschienen, dem ich herzlich für das Rezensionsexemplar danke. Ergänzt ist der Roman um ein lesenswertes Nachwort von Julian Barnes. Alle Informationen über Buch und Autor findet Ihr hier. Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.
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