D 2019 | 208 Seiten
Matthes & Seitz
ISBN: 978-3957576255
Abends kamen die Menschen in ihren Autos, um Johanna mitzunehmen. (Seite 9)
Selten, wirklich sehr selten, mache ich meine Buchauswahl vom Cover abhängig. Johanna Maxls Debütroman UNSER GROSSES ALBUM ELEKTRISCHER TAGE ist mit seiner eigenwilligen Aufmachung ein solcher Fall. Wer diesen Band in den Auslagen der Buchhandlungen sieht, kann gar nicht anders, als ihn in die Hand zu nehmen und kurz reinzublättern. Wenn dann noch der Klappentext ordentlich anfixt – und das tut er –, ist die Sache so gut wie geritzt. Und so dachte ich mir, zweihundert Seiten in vierzehn Kapiteln und großzügigen Seitenumbrüchen, die kriegste schnell mal nebenbei weggefuttert – Pustekuchen! In gleichem Maße wie das Design des Buches, verlangt jeder einzelne Satz im Text nach Aufmerksamkeit und Bewunderung.
Doch worum geht es? Vielleicht zunächst die grundlegenden Elemente der Handlung: Mutter Johanna ist verschwunden und hinterlässt eine Schar Kinder, die in dem zu einem riesengroßen Slum verkommenen Europa nach ihr sucht. So weit, so gut. Aber worum geht es wirklich? Was ist die Message? Tjaaa … ääähmmm … keine Ahnung. Ehrlich gesagt, fällt es mir schon furchtbar schwer, den Text auf eine schnöde Inhaltsangabe runterzubrechen; die Unmengen an bunt durcheinandergwürfelter Einzelszenen macht jeden Versuch zunichte. (Hatte ich dieses Gefühl nicht gerade kürzlich bei Ann Cotten?)
Der einzige rote Faden, der alles zusammenhält, ist die Suche nach Johanna. Aber was bedeutet das? Ist Johanna tatsächlich eine Mutter, die ihre Kinder verlässt? Oder ist Johanna eine Autorin, die die Figuren in einem geplanten aber verworfenen Romanprojekt zurücklässt? Oder sind die Kinder die ehemaligen Rauschbilder einer trockenen Alkoholikerin? Die Interpretation dessen, was Maxl uns hier erzählt, überlässt sie uns Lesern. Aber das Was und auch das Warum wird ja sowieso ständig überbewertet; das Wie ist doch viel entscheidender. Und diesbezüglich kann man vor Maxls poetischer Prosa nur den Hut ziehen. Wie eingangs schon angedeutet ist jeder Satz formvollendet und die einzelnen Szenen von ästhetischer Schönheit. Es ist ganz klar, dass hier ein großes Talent am Werk ist (auch wenn man die Creative Writing-Zöglinge der Literaturinstitute mittlerweile schon von weitem am Gang erkennt, was diese Referenz seit einigen Jahren erheblich abschwächt). Schön ist auch das Buch selbst: holografische Titelprägung, Fadenheftung, leicht lesbare Type im Flattersatz, farblich abgesetzte Kapitelseiten – das wäre auf jeden Fall was für die Stiftung Buchkunst.
Doch was bringt das alles, wenn diese Schönheit keine Message transportieren kann? Wäre dieser Roman ein Mensch, wäre er ein Model – männlich, weiblich, ganz egal –, das in einer eigens für ihn errichteten, riesengroßen, fensterlosen Ausstellungshalle nackt auf einem Sockel steht, angestrahlt von Spotlights aus allen Richtungen, seinen durchtrainierten, makellosen Körper zur Schau stellt und sich von hunderten zahlenden Gästen bewundern lässt. Und dann öffnet es den Mund und man hört es nur knistern und rauschen.
Nun, auch ich bin einer der Gäste und werde sicher auch Maxls nächste Ausstellung besuchen, mit der großen Hoffnung allerdings, dass ich das Exponat dann besser verstehe.
UNSER GROSSES ALBUM ELEKTRISCHER TAGE ist beim Verlag Matthes & Seitz erschienen, dem ich herzlichst für das Rezensionsexemplar danke. Alle Informationen über Buch und Autorin, sowie eine Leseprobe findet Ihr hier. Weitere Rezensionen lest Ihr bei Poesierausch und im Bücherkaffee.
Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.