Leif Randt | ALLEGRO PASTELL

D 2020 | 288 Seiten
Kiepenheuer & Witsch
ISBN: 978-3-462-05358-6

Gründonnerstag, 29. März 2018. Der Frankfurter Haupt­bahnhof wurde von milder Abendsonne geflutet, die war­tenden Passagiere an Gleis 9 warfen lange Schatten.

(Seite 9)

Tanja und Jerome führen eine Fernbeziehung zwischen Berlin und Frankfurt. Sie ist Autorin, er ist Webdesigner und sie gehören zu der Sorte junger Menschen, die wohlbehütet und priviligiert aufwuchsen und sich nie wirklichen Problemen stellen mussten. Alle paar Wochen treffen sich die beiden, verbringen eine angenheme Zeit miteinander – Kino, Clubs und Partys – und leben dann wieder allein, nur durch ihre Smartphones in Kontakt. Dass solche Entfernungen und Zeitweiligkeiten eine Beziehung auf Dauer zermürben können, ist bekannt, und auch Tanja und Jerome können ihre Liebe nicht auf einem konstanten Level halten. Dennoch bleiben sie einander verbunden, wenn auch nicht nach dem herkömmlichen Modell Du+Ich=Wir, denn das wäre ja spießig…


Lange Zeit habe ich nicht so recht gewusst, was genau mir Leif Randt (*1983) in seinem neuen Roman eigentlich erzählen will. Für eine Liebesgeschichte gab es zu wenig Drama, für ein einigermaßen gültigen Gegenwartsroman waren die Figuren zu realitätsfern. Das Lesen machte keinen Spaß und die Story plätscherte so vor sich hin. Doch irgendwann fand ich einen für mich schlüssigen Zugang, der das Buch in neuem Licht erscheinen ließ: Es geht – wie so oft – nicht um den Plot; es ist tatsächlich völlig irrelevant, was die beiden da treiben. Es geht einzig und allein um ihre emotionalen Fähigkeiten. ALLEGRO PASTELL ist ein Psychodrama.

Woran ich das festmache? Der Schreibstil ist so dermaßen spröde und nüchtern – normalerweise würde ihn unerträglich finden, wenn er nicht so ideal zu den Figuren passen würde. Die Sätze sind durchdacht, korrekt, humorlos und voller Nebeninformationen – sie sind kontrolliert. Tanja und Jerome sind ganz genauso: abgeklärt, immer auf alles gefasst und fast nie aus der Ruhe zu bringen. Sie beobachten ständig alles und jeden in ihrem Umfeld und fühlen sich auch selbst permanent unter Beobachtung. Man könnte meinen, ihr Leben sei einziger Catwalk und das Unverzeihlichste wäre, wenn sie stolperten und sich blamierten. Bevor sie eine Handlung durchführen, wird sie komplett zerdacht und darauf geprüft, wie sie auf andere wirken könnte und ob sie einen Gewinn abwirft. Das ist die pure Eitelkeit – Tanja und Jerome sind eitle Menschen. Selbst wenn sie miteinander schlafen oder sich mit Ecstasy abschießen, tun sie das aus selbstgefälligen Gründen. Es passiert nichts aus dem Bauch heraus, es ist kein Feuer in den beiden … und das ist furchtbar traurig. Diesem Unvermögen, Emotionen freien Lauf zu lassen, den Schreibstil anzupassen, halte ich für die große Kunst des Romans … auch wenn es die Lektüre nicht gerade angenehm macht.

Auch die Idee, die Liebesgeschichte in Phasen zu teilen, finde ich passend. Tanja und Jerome sind nämlich Menschen, die ihre Zeit in Phasen erleben. Sie verbringen ein paar Jahre in einer ihrem Alter entsprechenden Phase, dann werden sie dreißig oder fünfunddreißig, und es beginnt eine neue Phase, von der sie vorher schon wussten, wie sie sich dann zu verhalten haben. Die größte Angst der beiden scheint zu sein – wie eingangs erwähnt –, auf irgendeine Art spießig zu wirken. Aber mit ihrem ganzen Gehabe, mit ihrer Zufriedenheit und ihrer Selbstgefälligkeit, sind sie genau das – Spießbürger.

Und das Schlimmste: Es gibt solche Leute wirklich! Die Menschen in meinem Umfeld, denen ich ähnliche Eigenschaften zuordne, wie sie Tanja und Jerome erkennen lassen, sind alle um die dreißig – verwöhnt, unnahbar, erfolgreich. Ich werde jetzt keinesfalls den Fehler begehen, eine ganze Bevölkerungsschicht über einen Kamm zu scheren, aber ich finde, Leif Randt hat den Kern der Generation Y ganz gut getroffen. Ob er dabei Sympathien für die Hauptfiguren aufbringen konnte – schließlich gehört er ja selbst in diese Altersgruppe –, sei mal dahingestellt, ich fand die beiden jedenfalls unerträglich. Aber wenn man davon ausgeht, dass der Autor genau das bezweckt hat, kann man den Roman nur als gelungen bezeichnen.


ALLEGRO PASTELL erschien bei Kiepenheuer & Witsch. Mit einem Klick aufs Coverbild kommt Ihr zur Verlagseite, wo Ihr Informationen über Buch und Autor, sowie eine Leseprobe findet. Noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

4 Gedanken zu “Leif Randt | ALLEGRO PASTELL

  1. Also ich bin so eine noch Ältere 🙂 und für mich war das Buch ganz besonders lesenswert. Der Schreibstil hat genau das widergespiegelt, was gezeigt werden sollte und von dem ich noch nicht genug wusste. Hinterher war ich schlauer und hatte gute Lesestunden. Danke für die sorgfältige Rezension

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