Mareike Fallwickl | DUNKELGRÜN, FAST SCHWARZ

A 2018 | 475 Seiten
Frankfurter Verlagsanstalt
ISBN: 978-3-627-00248-0

Mit der Fingerkuppe streicht Moritz über Alaska, das Muttermal unter Kristinas Bauchnabel. Es ist dunkel und so groß wie ein Fingernagel. (Seite 9)

Moritz und Raffael sind Freunde von Kindesbeinen an, eine Sandkastenfreundschaft, wie sie im Buche steht. Sie gehen durch dick und dünn, sind unzertrennlich bis ans Ende ihrer Jungendtage. Eigentlich eine schöne Sache, eine für Außenstehende bemerkenswerte Beziehung, die die beiden Jungs da haben. Doch Moritz‘ Mutter sieht das anders, denn sie sieht, was andere nicht sehen: In Raffael steckt der Teufel, er ist ein blonder Engel mit (fast) schwarzer Seele. Die anderen Kinder können sich nicht wehren gegen sein Charisma, gegen seine Dominanz. Allen voran Moritz, der tief in seinem Innersten schon früh begreift, dass Raffael irgendwann sein Untergang bedeuten wird. Spätestens als mit Johanna ein Mädchen in die hormongeschwängerte Zweisamkeit tritt, beginnt ein Machtkampf, für den Moritz bei weitem die Kräfte fehlen, der ihm alle Grundlagen entzieht, um erfolgreich ins Erwachsenenleben zu starten.


Seit ihrer Ankündigung, Mareike Fallwickl habe ein Roman geschrieben, waren die Erwartungen an dieses Debüt sehr groß. Ihr Literaturblog Bücherwurmloch ist seit vielen Jahren ein fester Bestandteil der deutschsprachigen Bloggerszene und ein Garant für unterhaltsame und hochqualitative Rezensionen anspruchsvoller Bücher. Es war also abzusehen, dass sich ihr Debüt schnell herumspricht. Dass die erste Auflage aber bereits nach wenigen Wochen vergriffen sein und der Titel es sogar auf die Bestsellerlisten schaffen würde, das ist schon eine Erfolgsgeschichte, die in der Kürze der Zeit an ein kleines Wunder grenzt. Aber ist der Roman denn nun so gut, dass der Erfolg auch seine Berechtigung hat?

Absolut! Mareike Fallwickl bringt in DUNKELGRÜN, FAST SCHWARZ eine Sprache aufs Papier, die sich ganz locker mit denen gestandener Größen der Literatur messen kann. Der Text strahlt eine Professionalität aus, eine Könnerschaft, wie man sie bei Debüts selten zu lesen bekommt. Auch die Figuren sind tief und psychologisch versiert beschrieben, hier beweist Fallwickl große Menschenkenntnis. Ob sie nun aus Jungen- oder Mädchensicht schreibt, oder aus Sicht der Mutter, alle Charaktere bleiben authentisch und ihre Handlungen – auch wenn manchmal etwas … nunja … deftiger zugeht – nachvollziehbar.

Fallwickl erzählt ihre Geschichte chronologisch ungeordnet über einen Zeitraum von über dreißig Jahren und aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Die Perspektiven springen kapitelweise immer in der Reihenfolge Marie-Moritz-Johanna – nur Moritz bekommt außer der Reihe Prolog und Epilog zugesprochen – und mit jedem Sicht- und Zeitwechsel füttert die Autorin uns Leser mit Brotkrümeln, mit Informationen, die wir für das Gesamtbild benötigen. Solche Konstruktionen können auf einer Länge von fast fünfhundert Seiten gern mal durchhängen oder gar zusammenbrechen. Fallwickl aber schafft es durch ein kluge Verteilung der Brotkrümel, dass das Bauwerk bis zum Schluss standhaft bleibt. Interessant ist auch, dass sie bei den unterschiedlichen Figuren auch die Erzählsituation ändert: Marie erzählt in der Ich-Form, Moritz als persönlicher Reflektor, und bei Johanna rutscht Fallwickl gern mal ins seltene Du. Dass der dämonische Antiheld Raffael keine eigene Stimme bekommt, passt hierbei auch ins Schema.

Und auch inhaltlich beweist die Autorin ein gutes Händchen. Die Geschichte der drei Freunde in ihrem Kampf um Herrschaft und Unterwerfung ist ein Stoff, zu dem wohl jeder von uns eine persönliche Anekdote beifügen kann – und vielleicht ist auch das ein Grund für den Erfolg des Romans. Denn es gab oder gibt ihn in jedem Freundes- oder Bekanntenkreis, diesen Einen, der immer führt und nie folgt, dem man restlos ausgeliefert ist und der sich mit einem höhnischen Lächeln auf den Lippen alles von einem nehmen kann. Erinnerungen an die eigene Jugend sind bei diesem Roman vorprogrammiert und machen ihn zu einer sehr persönlichen Lektüre.

Ich wünsche Mareike Fallwickl und ihrem außergewöhnlichen Debüt noch viele weitere Leser und vergriffene Auflagen, und spreche hiermit nachdrücklich eine Empfehlung aus: Wer DUNKELGRÜN, FAST SCHWARZ noch nicht gelesen hat, sollte dies schleunigst nachholen. Dieser Roman ist ein intensives Erlebnis und seine Autorin eine große Hoffnung für die Literatur.


vlb_9783627002480_0DUNKELGRÜN, FAST SCHWARZ ist bei der Frankfurter Verlagsanstalt erschienen, der ich herzlich für das Rezensionsexemplar danke. Alle weiteren Informationen über den Roman findet Ihr hier. Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

6 Gedanken zu “Mareike Fallwickl | DUNKELGRÜN, FAST SCHWARZ

  1. Lieber Bookster,
    Mal wieder eine sehr hilfreiche Rezension, die einen guten Überblick schafft. Ich habe heute die Buchbesprechung bei HR2 Kultur dazu angehört. Allein schon die wechselnden Perspektiven von Ich Du und der dritten Person reizen mich. Dass es diesen einen im Freundeskreis gab, wie du so schön schreibst, habe ich auch so empfunden. Freundschaft mag in vielen Büchern als Thema vorkommen, doch in diesem scheint es besonders aufgearbeitet zu sein. Deshalb kommt es jetzt nach dem neuen Murakami, dem neuen Matt Haig und dem neuen John Boyne auf meine Wunschliste ;.)

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