Emma Cline | DIE EINLADUNG

USA 2023 | 318 Seiten
OT: »The Guest«
Aus dem Englischen von Monika Baark
Hanser Verlag
ISBN: 978-3-446-27757-1

Jetzt war August.

(Seite 7)

Eine ganz starke Eröffnungsszene ist folgende: Eine junge Frau ist allein am Strand und geht ins Wasser. Sie schwimmt ein paar Züge, entfernt sich vom Ufer und merkt, dass sie durch die starke Strömung nicht mehr zurückkommt. Sie bekommt Panik, strampelt sich ab, bis sie – völlig außer Atem und weit abgetrieben – wieder Sand unter den Füßen spürt. Diese Szene nimmt den Lauf der Geschichte um jene Frau gleich zu Beginn vorweg und beweist die Raffinesse ihrer Schöpferin. Emma Cline zeigt in ihrem zweiten Roman DIE EINLADUNG amerikanische Erzählkunst auf hohem Niveau und erfüllt alle Erwartungen.

Die junge Frau vom Strand heißt Alex, ist Anfang Zwanzig und allein in den Hamptons unterwegs, jenem idyllischen Zufluchtsort der Schönen und Reichen aus dem Großraum New York Citys. Die Anwesen hier sind Millionen wert, die Einwohner gehören der East-Coast-Upper-Class an und die Nachbarschaft zeichnet sich vor allem durch die Exklusivität aus – hier ist man unter sich. Egal, wer hier am Strand liegt, er ist reich, sonst läge er nicht hier. Überall liegt liegt Schmuck und teure Kleidung, die Luxuswagen sind nicht abgeschlossen, niemand achtet auf irgendwas. Wer sollte hier schon etwas klauen? Doch Alex gehört hier nicht hierher, sie ist ein Eindringling. Sie tut nur so und weiß gut, wie sie sich verhalten muss, um nicht aufzufallen.

Was genau Alex an den Südstrand von Long Island gebracht hat, verrät Emma Cline nur in Bruchstücken. Alex kommt aus der City und hält sich vor einem Mann versteckt, der ihr offenkundig Böses will. Es wird Diebstahl erwähnt, Drogenkonsum und Escort-Dienste. Sie findet Unterschlupf bei Simon hier in den Hamptons, aber auch diesen bringt sie gegen sich auf und wird vor die Tür gesetzt. Doch mit Simon ist noch nicht alles verloren. Er gibt in einer Woche eine große Party und zu der will Alex aufkreuzen und ein neues Leben mit ihm starten. Nur ein paar Tage muss sie also in diesem Paradies verbringen – auf eigene Faust allerdings, ohne Geld und ohne jede Bekanntschaft.


Wie schon in ihren Kurzgeschichten – gesammelt in dem Band DADDY – verzichtet Emma Cline auf jede Art von stilistischen Taschenspielertricks. Sie erzählt sauber von vorn nach hinten, lässt in Rückblenden nur das Nötigste durchschimmern und ist in ihren Sätzen ganz nah bei der Hauptfigur. Das beinhaltet aber auch, dass viele der Szenen schöngefärbt sind, denn Alex ist hoffnungslos optimistisch. Die Spur der zwischenmenschlichen Verwüstung, die sie hinter sich herzieht, ist verdammt tief, doch Alex ist eine Meisterin der Verdrängung und der haltlosen Zuversicht. Dass sie mit jedem Tag näher auf ihr mögliches Ende zuschreitet, ist Seite für Seite deutlicher spürbar, doch steht es so dort nicht geschrieben – eine weitere Kunstfertigkeit Clines.

Was der Autorin auch sehr gut gelingt, ist die Darstellung der Upper Class als sozialer Schicht. Wie die feinen Herrschaften untereinander agieren, woran sie sich erkennen, was deren wichtige Themen sind. Die selbstgefälligen Männer, die eitlen Frauen, die verwöhnten Kinder – das ist schon alles sehr nah an der Realität. (Nehme ich an; ich weiß ja auch nicht.) Dass Alex all die Tage in dieser Parallelwelt einigermaßen unbeschadet durchkommt, gelingt ihr durch Anpassung, Manipulation und einem fast schon kriminellen Grad an Dreistigkeit. Diesen Charakter zu mögen, ist nicht gerade leicht – Alex ist wohl das, was man Antiheldin nennen kann –, aber bei der Vorgeschichte wird auch klar, woher sie das wohl hat.

DIE EINLADUNG ist ein sehr guter Roman – souverän geschrieben, voller versteckter Tragik und mit einer ganz eigenen Spannung bis zum Schluss.


DIE EINLADUNG erschien in der Übersetzung von Monika Baark im Hanser Verlag, dem ich herzlichst für das Rezensionsexemplar danke. Mit einem Klick aufs Coverbild gelangt Ihr zur Verlagsseite, wo Ihr Informationen über Buch und Autor, sowie eine Leseprobe findet.

Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

Hinterlasse einen Kommentar