Marian Engel | BÄR

CDN 1976 | 208 Seiten
OT: »Bear«
Aus dem Englischen von Gabriele Brößke
Mit einem Nachwort von Kristine Bilkau
btb Verlag
ISBN: 978-3-442-75956-9

Im Winter lebte sie wie ein Maulwurf, tief vergraben in ihren Papieren, und wühlte zwischen Karten und Manuskripten.

(Seite 7)

Zugegeben: Vor diesem Buch hatte ich im Vorfeld meiner Lektüre etwas Schiss. Als Marian Engels BÄR als wiederentdeckter Feminismus-Klassiker durch die Blogs und Feuilletons geisterte, war ich sofort Feuer und Flamme, ließ das Buch dann aber doch aus irgendwelchen Gründen liegen. Jetzt, ein gutes Jahr nach der ganzen Aufregung, habe ich es endlich gelesen und frage mich tatsächlich: Warum nicht schon viel früher?

Die Geschichte ist – im Gegensatz zu den Interpretationsmöglichkeiten – schnell erzählt: Im nördlichen Ontario gibt es außer Wald und Wildnis nicht viel zu entdecken. Viele Seen, viele Inseln, jede Menge Bäume und so manches Getier. Ab und an ein Gehöft, so wie das des verstorbenen Colonels Cary, das eine beachtliche Bibliothek beinhaltet. Die introvertierte Archivarin Lou bekommt den Auftrag, zu dem Anwesen zu fahren und den Nachlass auf Dokumente zu durchsuchen, die vielleicht Hinweise auf die Besiedelung dieses abgelegenen Gebietes geben. Vom Rest der Menschheit völlig isoliert, nimmt Lou die Arbeit auf und entdeckt einen großen aber heruntergekommenen Bären im Schuppen des Anwesens. Sie baut über Wochen eine Freundschaft zu diesem imposanten Tier auf, pflegt und füttert ihn, bringt ihn wieder auf die Beine … und beginnt, mit ihm zu schlafen.


Diese Info soll kein Spoiler sein; ich denke, dieses Buch liest man nicht einfach so, ohne zu wissen, was darin passiert. Dass dort amurös-sexuelle Handlungen mit einem Tier beschrieben werden, ist der große Clou des Buches, der Teil, der den Roman zu einem Klassiker hat werden lassen. Das sollte man vorher einfach wissen.

Und natürlich ist das alles als große Metapher zu verstehen. Vor meiner Lektüre ging ich davon aus, dass der Bär für den männlichen Gegenpart der weiblichen Hauptfigur stehen soll, was ich nicht so recht als feministisch einordnen konnte. Und es war auch ein Irrtum, Männer haben in der Geschichte gar nichts verloren – die paar Kerle, die dort vorkommen, sind totale Arschlöcher. Nein, es geht viel mehr um die Entdeckung der eigenen Lust, um die Befreiung von Lous Libido. Die Übertragung dieses Themas auf einen Bären ist eines der verblüffensten literarischen Gleichnisse, und machte Marian Engel zu einer der berühmtesten Autorinnen feministischer Literatur.

Ein wirklich toller Text, nur die Übersetzung hat in all den Jahren schon ordentlich Staub angesetzt. Der Roman wurde 1986 erstmals auf deutsch veröffentlicht, dann 2005 und nochmals 2022 als Wiederentdeckung gefeiert – an der Übersetzung von Gabriele Brößke wurde (bis auf die Anpassung an die neuen Rechtschreibregeln) nicht gedreht. Das könnte man meines Erachtens aber durchaus mal in Angriff nehmen. Die Sätze sind spröde und nüchtern, und bis auf ein paar Szenen nur wenig emotional. Vielleicht passt das gut zum Originaltext und zu Beginn auch zur zurückhaltenden Lou, aber zum Ende hin wäre ein bisschen mehr … Entspanntheit nicht verkehrt gewesen. Trotzdem sehr lesenswert!


BÄR erschien als Wiederveröffentlichung im btb Verlag. Mit einem Klick aufs Coverbild kommt ihr zur Verlagsseite, wo Ihr Informationen über Buch und Autorin, sowie eine Leseprobe findet.

Eine kleine Bitte noch: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

2 Gedanken zu “Marian Engel | BÄR

Hinterlasse einen Kommentar