Joey Goebel | IRGENDWANN WIRD ES GUT

USA 2019 | 313 Seiten
OT: »I Know It’s Going to Happen for You Someday«
Aus dem Amerikanischen von Hans M. Herzog
Diogenes
ISBN 978-3-257-07059-0

Wie bei seinem heiligen Ritual üblich, bereitete Anthony Dent kurz vor sechs Uhr abends einen Bourbon mit Wasser für sich und die Frau, die er liebte, der er aber noch nie begegnet war. (Seite 9)

In der Kleinstadt Moberly, einem fiktiven Kaff in Kentucky, ist nichts so unerschöpflich wie die Langeweile. Nur wenige verirren sich dorthin – jeder will von dort weg. Moberly ist die Stadt der Verlierer, derer, die nichts gebacken kriegen und vom Leben nichts weiter erwarten, als dass es irgendwann vorbei ist. Vielleicht ein paar schöne Momente und möglichst wenig Leid – mehr ist hier nicht zu holen.

Ein junger Mann trifft sich jeden Abend zu einem Glas Whiskey mit seiner Angebeteten, der Nachrichtensprecherin von Channel Seven, der er vom Sofa aus zuprostet. Eine alte Frau lässt sich regelmäßig von ihrem geistesgestörten Hund bespringen, Hauptsache er beschützt sie vor den bösen Schwarzen. Ein Mann verbringt eine Nacht im Hotel, die viel verspricht, aber nichts einlöst. Die Menschen, deren Geschichten hier erzählt werden, sind irgendwann von ihrem Weg abgekommen, haben ihre Träume vergessen oder konnten ihnen nicht mehr folgen – dabei wollen sie alle nur lieben und geliebt werden und halten an der Hoffnung fest, dass irgendwann alles gut wird.


Joey Goebel (*1980), dem ich mit VINCENT einen meiner All-Time-Top-Ten-Romane verdanke, hat nach den eher mäßigen Veröffentlichungen HEARTLAND und ICH GEGEN OSBOURNE endlich wieder zu seiner alten Größe gefunden. Hier nun erstmals in Form einer Sammlung von Kurzgeschichten, allerdings können die zehn Storys auch gut und gerne als Collagenroman durchgehen, denn sie sind gekonnt miteinander verwoben. Zwischen allen Geschichten gibt es Verbindungen und Berührungspunkte, und kaum eine Figur taucht nur einmal auf. Und als alles zusammenhaltendes Element die Stadt selbst: Moberly, als Sinnbild für eine lebenslange Prüfung, der sich alle stellen müssen.

Es ist Goebels ruhiger und leicht melancholischer Schreibstil, den ich so grandios finde. Seine große Kunst ist es, schwere Themen in leichte Prosa zu verpacken, als würde er gusseiserne Kanaldeckel in regenbogenbunte Pappkartons stecken – Sehen leicht aus, aber trag die mal weg! Man blättert sich so durch die Seiten, man grinst, man staunt, aber zwischen den Zeilen steckt so viel Kraft und Tiefe, dass einem schwindelig wird.

Große Leseempfehlung!


irgendwann-wird-es-gut-9783257070590IRGENDWANN WIRD ES GUT ist beim Diogenes-Verlag erschienen, dem ich herzlichst für das Rezensionsexemplar danke. Ergänzt ist der Band um ein interessantes Interview das Benedict Wells mit Joey Goebel geführt hat. Alle Informationen über Buch und Autor, sowie eine Leseprobe findet Ihr hier. Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

8 Gedanken zu “Joey Goebel | IRGENDWANN WIRD ES GUT

  1. Einmal mehr eine sehr schöne Besprechung! Habe damals „Vincent“ und „Freaks“ mit Freude gelesen und das Vergnügen gehabt mich mit Diogenes-Kollege Jakob Arjouni in der Buchhändlerschule in Seckbach (jetzt Mediencampus) nach allen Regeln der Kunst zu besaufen. Ganz getreu dem Motto des Abends, das, passend zu Goebels Buch, „Freaks“ hieß. Dessen tolle Lesung durfen wir zuvor ebenfalls (noch nüchtern) beiwohnen. 😉

    Arjouni ist ja leider bereits viel zu früh von uns gegangen. Der neue Goebel wandert aber jetzt mal sogleich mal auf den Merkzettel.
    Beste Grüße
    Stefan

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  2. Wow, das nenne ich mal Begeisterung, klingt gut! Ich hab von Goebel noch gar nichts gelesen, sollte ich wohl mal ändern… Schöne Besprechung! Viele Grüße nach Rostock! 🙂

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