CH 2019 | 382 Seiten
Frankfurter Verlagsanstalt
ISBN: 978-3-627-00260-2
Ich habe Jack an jenem Tag kennengelernt, als hinter unserem Haus ein Achtundzwanzigjähriger vom Himmel gefallen ist. (Seite 7)
Zu meinen schönsten Erlebnissen während der diesjährigen Leipziger Buchmesse zählt zweifellos die Lesung von Demian Lienhard, an der ich unter rund dreißig geladenen Gästen in einer Privatwohnung teilnehmen durfte. Der 1987 in der Schweiz geborene Autor stellte dort seinen Debütroman mit dem herrlich sperrigen Titel ICH BIN DIE, VOR DER MICH MEINE MUTTER GEWARNT HAT vor. Und obwohl es wahrlich kein leichtes Thema ist, dem sich Lienhard angenommen hat, wusste er mit lockerem Witz sein Publikum gut zu unterhalten.
Es sind die Achtzigerjahre in Zürich, die Lienhard in seinem Erstling beschreibt, und zwar ganz konkret die der Drogenszene auf dem Platzspitz, genannt Needle Park, einem Areal im Norden der Zürcher Altstadt. Zur traurigem Ruhm kam der Park, als dort über Jahre hinweg – und von der Polizei geduldet – Drogen aller Art gehandelt und konsumiert wurden. Tausende Abhängige hielten sich permanent dort auf, es wurde Tag und Nacht gekokst, gespritzt, krepiert und gestorben, Europas größter Fixer-Hot Spot.
In diese unwirtliche Gegend folgen wir Alba, der Titelfigur und Ich-Erzählerin. In ihrer Jugend kommt sie früh mit dem Thema Tod in Berührung; sie verliert erst ihren Vater, dann ihren Stiefvater, ihre Mutter zeigt kaum Interesse an ihr, mehrere Schulkameraden nehmen sich das Leben und auch Alba selbst versucht es, allerdings ohne Erfolg. Bei dem darauf folgenden Krankenhausaufenthalt lernt sie Jack kennen, mit dem die Probleme aber nicht weniger werden, sondern erst richtig beginnen. Nach ein paar Jahren, die einer emotionalen Achterbahnfahrt gleichen, gerät Alba an die falschen Freunde, die sie in die Drogenszene bringen und schließlich in die Hölle namens Platzspitz, der Ort, von dem man zweifelsfrei sagen kann: Hier kommt keiner lebend raus.
Das müssen üble Jahre gewesen sein in dieser Stadt, die man weithin eigentlich nur als mondäne Vorzeigemetropole kennt. Doch Lienhard meinte beim Gespräch in Leipzig, wenn man sich umhört und gezielt nachfragt bei den Leuten, die diese Zeit bewusst miterlebt haben, ist da eine große Scham zu erkennen. Der Platzspitz ist ein wunder Punkt in der Geschichte Zürichs, ein unaufgearbeitetes Trauma. Umso wichtiger, dass sich mit diesem Roman endlich jemand dem Thema auf literarische Art nähert.
Müsste ich die Sprache Lienhards mit einem Wort beschreiben, würde ich sagen: verspielt. So unfassbar traurig das Leben von Alba auch ist, Lienhard findet immer einen Weg, uns Leser zum lächeln zu bringen. Der Text strotzt nur so von Wortwitz und rhetorischen Spielereien, dass wir aufpassen müssen, dass uns die Tragödie nicht abhanden kommt. Ich halte das für eine große Kunst und sehe in Lienhard ein Talent dessen Karriere ich mit Spannung weiterverfolgen werde. Ganz klare Leseempfehlung!
ICH BIN DIE, VOR DER MICH MEINE MUTTER GEWARNT HAT erschien bei der Frankfurter Verlagsanstalt, der ich herzlichst für das Rezensionsexemplar danke. Alle Informationen über Buch und Autor, sowie eine Leseprobe findet Ihr hier.
Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.
Vermutlich wird es der Roman auf meine Best-of-Liste dieses Jahr schaffen. Tolles Buch! Viele Grüße!
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Und wieder wird der Wunschzettel um einen Titel höher. *seufz*
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[…] an, und wir fahren gemeinsam zur Wohnzimmerlesung von Demian Lienhard, der seinen Debütroman ICH BIN DIE, VOR DER MICH MEINE MUTTER GEWARNT HAT, dass ich ebenfalls demnächst besprechen werde. Sehr angenehm moderiert wurde die Lesung von […]
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