JPN 2000 | 352 Seiten
OT: »沈黙博物館«
Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe und Kimiko Nakayama-Ziegler
Liebeskind Verlag
ISBN: 978-3-95438-160-9
Bei meiner Ankunft im Dorf hatte ich nichts weiter bei mir als eine kleine Reisetasche.
(Seite 5)
Nachdem ich Anfang des Jahres endlich mal ein Buch von Yoko Ogawa gelesen habe – einer Autorin, die schon sooo lange auf meinem Zettel steht –, wurde es schnell Zeit für ein zweites. Ähnlich wie DER DUFT VON EIS ist auch DAS MUSEUM DER STILLE ein etwas älterer Roman, in diesem Fall handelt es sich sogar um eine Neuauflage mit angepasstem Cover. Auch das Grundmotiv passt zum Vorgänger, denn auch hier geht es ums Sammeln und Konservieren, zwar nicht von Gerüchen, dafür aber von Andenken der besonderen Art.
Ein Museumsexperte nimmt den Auftrag einer alten Frau an, ein Privatmuseum zu errichten, in dem eine ganze Reihe von Alltagsgegenständen ausgestellt werden soll. Diese Exponate wirken auf den ersten Blick völlig banal und wirr durcheinander, gerade zu wertlos. Doch hat jedes Stück eine Geschichte, die die Alte zu berichten weiß. Jahrzehntelang hat sie kleine Gegenstände aus den Häusern ihrer Mitmenschen entwendet, wenn diese das Zeitliche gesegnet haben, Gegenstände, die charakteristisch für sie sind und ihr Andenken symbolisch aufrecht erhalten. Doch mittlerweile ist die Frau zu alt, um selbst auf Beutezug zu gehen, und dem Mann dämmert, dass er die Exponate in Zukunft entwenden soll. Er lässt sich auf die seltsame Zusatztätigkeit ein, merkt aber schnell, dass die Alte beim Ableben ihrer potentiellen Stifter ein wenig nachhilft…
DAS MUSEUM DER STILLE ist in dieser typisch-japanischen Seelenruhe geschrieben, die mir bei anderen Autorinnen und Autoren des Landes meistens auf die Nerven geht (ein Beispiel); bei Ogawa ist das anders. Vielleicht liegt das an den ruhigen Geschichten oder den zarten Figuren – bei Ogawa wirkt der Schreibstil wunderbar passend zur Erzählung. Auch wenn die Story hier gerade zum Ende hin eine deutlich kriminalistische Färbung bekommt und spannungsmäßig ein paar Gänge höher schaltet, bleibt DAS MUSEUM DER STILLE ein besinnliches Buch, das viele großen Fragen unseres Daseins beleuchtet. Was bleibt, wenn wir fort sind? Wer wird sich an uns erinnern? Und auf welche Weise? Fragen, die wir uns alle früher oder später stellen.
Auffallend ist, dass alle Figuren namenlos bleiben – der ganze Text kommt ohne Eigennamen aus. Das macht die Geschichte universal. Sicher hat man während der Lektüre automatisch die Vorstellung einer japanischen Kleinstadt vor Augen, doch durch das Weglassen japanischer Namen könnte dieses Museum auch in Brasilien, North Dakota oder Ostfriesland entstehen. Ein guter Trick, Frau Ogawa!
Große Leseempfehlung meinerseits und mit Sicherheit nicht mein letztes Buch dieser Autorin.
DAS MUSEUM DER STILLE erschien in der Übersetzung von Ursula Gräfe und Kimiko Nakayama-Ziegler im Liebeskind Verlag, dem ich herzlich für das Rezensionsexemplar danke. Mit einem Klick aufs Coverbild kommt ihr zur Verlagsseite, wo Ihr Informationen über Buch und Autorin, sowie eine Leseprobe findet.
Eine kleine Bitte noch: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.