Benedict Wells | HARD LAND

CH 2021 | 343 Seiten
Diogenes
ISBN: 978-3-257-07148-1

In diesem Sommer verliebte ich mich, und meine Mutter starb.

(Seite 11)

Sam ist fünfzehn und sitzt seine Jugend in einem kleinen Kaff in Missouri ab. Seine Mutter liegt wegen eines schweren Krebsleidens im Sterben, mit seinem Vater, der die schwierige Situation auch eher schlecht als recht verkraftet, wechselt er kaum ein Wort und die große Schwester hat sich schon vor Jahren nach L.A. verdrückt. Richtige Freunde hat Sam auch nicht, der einzige Junge, der ihm etwas bedeutete, ist vor einiger Zeit mit seinen Eltern weggezogen, und der folgende Briefverkehr ist nach wenigen Wochen eingeschlafen. Nun stehen die Sommerferien vor der Tür und es gibt nichts zu tun. Deshalb – und damit seine Eltern ihn nicht bei Verwandten unterbringen – nimmt Sam einen Job im örtlichen Kino an.

Wir schreiben das Jahr 1985. Im Kino laufen potentielle Kultfilme wie ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT und BREAKFAST CLUB. Sams Kollegen im Kino sind Cameron und Brandon, mit denen er nach anfänglichem Zögern Freundschaft schließt. Doch viel interessanter ist Kirstie, die mit bewundernswertem Selbstvertrauen auftritt und immer sagt, was sie denkt – also das genaue Gegenteil von Sam. Es dauert nicht lang und er verliebt sich in sie, doch mit seiner schüchternen Art ein so flatterhaftes Mädchen für sich zu gewinnen, ist nicht so einfach. Noch dazu geht es seiner Mutter immer schlechter; es wird Zeit, Abschied zu nehmen. Zu lernen, Emotionen aller Art gleichzeitig zu verarbeiten – das ist wohl das, was man Jugend nennt…


Zugegeben: Für das klassische Coming-of-Age bin ich wohl etwas zu alt. Dennoch gibt es viele Romane, in denen Heranwachsende in aufwühlenden Phasen ihres jungen Lebens beschrieben werden, die auch für jene Leserschaft interessant und gewinnbringend sind, die den ganzen Mist schon lange hinter sich hat – nur HARD LAND ist leider keiner davon. Ich bin mir sicher, dass es Unmengen junge Leserinnen und Leser gibt, die bei HARD LAND dahinschmelzen, und vor zwanzig Jahren hätte ich dem Buch vielleicht auch noch etwas abgewinnen können, aber heute? Da regt sich gar nichts. Das liegt allerdings nicht nur an der lahmen Story – die im Nachgang übrigens wirkt, als wäre sie aus hundert anderen ähnlich gelagerten Stories zusammengeschustert –, denn das, was ich dem Buch wirklich übelnehme, ist sein Stil.

Ich bin ja nun kein Schriftsteller und habe weder Kreatives Schreiben noch Germanistik studiert, aber als geübter Leser mit jahrzehntelanger Erfahrung bilde ich mir schon ein, schlechten Stil zu erkennen, wenn er mir unter die Lesebrille kommt. HARD LAND nun war in dieser Hinsicht eine große Herausforderung für meine sensiblen Äuglein. Beispiele gefällig? Auf Seite 39 brüllt der arme Sam »AHHHHHHHHHH!«, weil seine Mutter so schwer krank ist. Und danach gleich nochmal mit geballten Fäusten: »AHHHHHHHHHHHHHHH!« … mit fünfzehn großen Hs, hab’s nachgezählt; das tat schon gut weh beim Lesen. Immer wieder gibt es solche Stilverbrechen, aber den Vogel schießt Wells endgültig auf Seite 244 ab: Da spielt jemand laut Orgel, und es macht doch tatsächlich »Dröhn! Dröhn! Dröhn!« … kein Scheiß; das steht da wirklich so! Da fällt mir gar nichts mehr zu ein, so furchtbar schlecht ist das geschrieben. Der Mann geht auf die vierzig zu und hat schon fünf sehr erfolgreiche Romane veröffentlicht – fällt dem denn nichts Besseres ein als »Dröhn! Dröhn! Dröhn!«?

Nun muss man ja sagen, der Benedict Wells ist ein ganz netter Zeitgenosse. Ich hab ihn jetzt schon in ein paar Interviews gesehen und auch live bei einer Lesung erlebt, und da kann man gar nichts anderes sagen als: Das ist ein ganz Symphatischer – höflich, wortgewandt, gebildet. Die Symphatie merkt man auch seinem Buch an, aber leider ist das – abgesehen vom schlechten Stil – ein weiterer massiver Kritikpunkt. Es ist alles viel zu brav, zu lieb, zu nett, keine Ecken und Kanten, an denen man sich eventuell stoßen könnte. Alles furchtbar weichgewaschener Mainstream (genau wie der obligatorische Soundtrack zum Buch, der fast nur aus Pop- und Rockhits besteht, die heute noch im Radio rauf- und runtergedudelt werden). HARD LAND ist darauf angelegt, beim jungen Publikum gut anzukommen: rund und weich, ein kleiner Witz hier, ein bisschen Tragik dort, gefällig und beliebig (und so wie ich das in vielen Blogs lese, geht der Plan auch voll auf). Nur: das gefrorene Meer in uns zerschlägt man mit einer Axt und nicht mit einem Kashmir-Schal. Insofern ist HARD LAND in allen Belangen gescheitert.

Es ist auch völlig fraglich, warum die Geschichte in Amerika und dann auch noch in den 80ern spielen muss, dafür gibt es überhaupt keinen erkennbaren Grund. Der Roman hätte genauso gut in Oberfranken oder Ostfriesland spielen können, auch dort gibt es kleine Käffer mit Minikinos, in denen 1985 ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT lief. Eigene Jugenderinnerungen können es wohl nicht sein, dafür ist Wells viel zu jung. Manche Autorinnen und Autoren, die ihre Romane zeitlich im letzten Jahrhundert ansiedeln, machen das aus praktischen Gründen, weil damals kaum jemand ein Handy, geschweige denn ein Smartphone hatte, mit dem man viele Probleme heutzutage auf ganz andere Art und Weise lösen könnte. Aber auch das ist bei HARD LAND wohl nicht der Grund. Ich denke, Wells will einfach auf dieser furchtbar omnipräsenten Achtziger-Jahre-Retro-Welle mitsurfen, die derzeit nicht nur die Kino- und Fernsehlandschaft, sondern auch die Musikwelt völlig überspült.

HARD LAND war mein erster Wells-Roman und ich glaube, es wird mein einziger bleiben. Ich habe schon so viel Gutes über den Mann gehört und es stehen auch alle Bücher von ihm im Regal – er ist bei uns in der Familie sehr beliebt –, aber nach diesem Reinfall habe ich jeden Antrieb verloren. Schade…


HARD LAND erschien bei Diogenes-Verlag, dem ich natürlich trotzdem für das Leseexemplar danke. Mit einem Klick aufs Coverbild kommt ihr zur Verlagsseite, wo Ihr Informationen über Buch und Autor, sowie eine Leseprobe findet.

Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

12 Gedanken zu “Benedict Wells | HARD LAND

  1. Ich habe vor einigen Jahren Vom Ende der Einsamkeit gelesen und mich offen gesagt richtig geärgert über das Buch. Deshalb hatte ich auch gar keine Ambitionen, Hard Land zu lesen, ich glaube, mir wäre es damit ähnlich wie dir gegangen. Ich glaube aber auch zu verstehen, warum Wells so viele Fans hat, das liest sich ja alles sehr gefällig, wenn ich mich recht erinnere, ist ja schon ne Weile her. Für mich war’s nichts…

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      • Ob es die Schnitzer beim Vorgänger nun auch gab, weiß ich nicht mehr bzw. vielleicht ist es mir auch gar nicht aufgefallen damals. Naja, ein Autor weniger, dessen Bücher man lesen „muss“ 😉 genug andere werden es ja tun. LG

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  2. Ja leider eher mittelmäßig. Mir ist unklar warum Wells so lange für dieses Buch gebraucht hat. Und es gibt weitaus stärkere Vorgänger: Der jüngst verstorbene Larry McMurtry erzählte schon 1966 in Die letzte Vorstellung meisterlich von Jugend, Liebe, Kino und Verlust. Und auch Steve Tesichs Ein letzte Sommer lässt HardLand recht blass aussehen.

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    • EIN LETZTER SOMMER mochte ich auch sehr. Es gibt so viele gute Romane aus dem Coming-of-Age-Bereich, die man auch mit 40+ noch gern liest. HARD LAND gehört definitiv nicht dazu.

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  3. „Vom Ende der Einsamkeit“ war wirklich schon sehr sehr schlecht und dieses scheint genau in die gleiche Richtung zu gehen. Aber: Becks letzter Sommer könnte dich versöhnen.

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  4. Da bin ich aber froh, endlich auch verschiedene kritische Meinungen zu Benedict Wells zu lesen. Bei seinem ersten Roman ging es mir schon so (eigenartiger Weise berührte mich die Story nicht wirklich). Kennst du den 2020 erschienenen Roman „Die Vögel“ von Tarjei Vesaas. Die Lektüre lohnt absolut!!

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  5. […] Schlussendlich übertreibt es Yasmin Sibai mit der Reichweite der Kriminalgeschichte, die mit dem Tod von Beys Ex-Freund aufgedeckt wird. Das liest sich alles thrillermäßig spannend, wirkt aber doch sehr weit hergeholt. Meiner Meinung nach hätte es das alles gar nicht gebraucht. Ich habe mich zwischendurch oft gefragt, was ich hier eigentlich lese. Ein Sozialdrama oder einen Thriller? Das sind zwei Genres, die nicht so recht zusammenpassen wollen, jedenfalls nicht so, wie sie in PUNKED angelegt sind. Mich hat der Einblick in die Neunziger-Jahre-Szene viel mehr interessiert als der ganze Krimikram. Der aber überstrahlt den Punkplot so dermaßen, dass am Ende auch jede andere Subkultur die Basis hätte bilden können… schade. Wenigstens ist der (für aktuelle Romane mittlerweile obligatorische) Soundtrack nicht so weichgespült wie der von anderen. […]

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