Saskia Hennig von Lange | HIER BEGINNT DER WALD

D 2018 | 150 Seiten
Jung und Jung
ISBN: 978-3-99027-216-9

Jetzt sitzt er hier und würde doch lieber woanders sitzen. (Seite 5)

Ein Mann ist mit einem Lastwagen unterwegs auf der Autobahn, um Umzugsgüter fremder Leute von einer Stadt in die andere zu transportieren. Doch in Wirklichkeit ist er auf der Flucht – vor seiner Frau, vor dem ungeborenen Kind, vor seiner Zukunft. Ständig in Gedanken und völlig abgelenkt baut er einen Unfall, verbringt eine Nacht im Krankenhaus und flieht anschließend mit dem demolierten Laster in den Wald. Dort macht er sich über die Umzugskartons her, findet Klamotten, mit denen er sich kleidet, und Fotoalben, in denen er sich eine alternative Lebensgeschichte zusammenbastelt. Eine traurige Figur, ein Aussteiger, der Rettung in einer Einsamkeit sucht, für die er nicht gemacht ist.

Saskia Hennig von Lange (*1976) schreibt die Geschichte ihres Helden in ruhigen, beobachtenden Sätzen und bewahrt sich – und uns Lesern – damit eine respektvolle Distanz zu diesem Mann, zu dem man sowohl Mitleid als auch Abscheu empfinden kann. Sein eigentliches Ziel bleibt trotz vieler Gedanken und Innenansichten im Dunkeln. Er hat sich keinen Plan für seine Flucht gemacht – auf Seite 101 gibt es sogar einen Anflug von Lebensmüdigkeit – und folgt einfach jedem Impuls. Hinzu kommt, dass er offenkundig meist nicht weiter denkt, als er gucken kann, und sich so immer tiefer in den Schlamassel reißt. Spätestens als er im Wald einen Jungen findet und ihn erst im Laster und später in einem alten Bunker einsperrt, wird’s kriminell, auch wenn er sich nur um den Jungen kümmern will und ihn als Partner in seiner Einsamkeit ansieht. Am Ende wissen wir Leser kaum noch, ob der Junge wirklich existiert, oder der Phantasie des Mannes entsprungen ist, der – so viel ist klar – schon länger nicht mehr zurechnungsfähig ist.

Dieser Grundplot – ein Mensch gelangt innerhalb kürzester Zeit an den äußersten Rand der Zivilisation, weil er seinen Impulsen folgt, ohne die Konsequenzen zu bedenken – erinnert mich an Lukas Bärfuss‘ Roman HAGARD, mit dem er die letzte LiteraTour Nord gewann und sich damit gegen Publikumslieblinge wie Marianna Leky oder Jonas Lüscher durchsetzen konnte. Saskia Hennig von Lange ist mit ihrem Roman bei der nächsten Tour dabei – die Namen und Termine sind kürzlich hier veröffentlicht worden – und ich freue mich jetzt schon auf die Lesung. Ein kurzer aber intensiver Roman.


size_150_image622.jpgHIER BEGINNT DER WALD erschien beim Verlag Jung und Jung. Alle weiteren Information findet Ihr auf der Verlagsseite. Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

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