Thea Mengeler | CONNECT

A 2022 | 304 Seiten
Leykam Verlag
ISBN: 978-3-7011-8233-6

Ava kann nicht atmen.

(Seite 5)

Ava – eine begabte Designerin Ende zwanzig – arbeitet in einer Werbeagentur. Sie macht ihren Job sehr gut, ist in der Firma beliebt und hat dort Freunde gefunden. Doch die fordernde Arbeit, die zum größten Teil aus Meetings, Pitches und Think-Tanks besteht – einer dieser Berufe also, bei denen nichts Reales produziert wird – hat ihren Preis: Sie fühlt sich mehr und mehr ausgebrannt, kann sich kaum noch zu irgendeiner Freizeitgestaltung motivieren und verliert nach und nach alle sozialen Kontakte. Das sind deutliche Anzeichen für ein Burn-Out-Syndrom und Ava ist klar, dass sich etwas in ihrem Leben grundlegend ändern muss. Und dann – wie vom Schicksal bestimmt – trifft sie ihre alte Freundin Lina…

Lina führt Ava zu einer Gruppe, die sich connect nennt und die Abkehr von sozialen Medien und den Verzicht auf jegliches Online-Leben predigt. Es wird gesungen und getanzt, meditiert und sich berührt. Ziel von connect und dem charismatischen Anführer Dev ist das Wiedererlangen längst verlernter sozialer Interaktionen, wie zum Beispiel das offene und ehrliche Gespräch von Angesicht zu Angesicht (ohne den Schutz einer Firewall zwischen den Dialogpartnern) oder eine ganz simple Umarmung. Der permanente Gebrauch von Sozialen Netzwerken macht abhängig und schadet der Emotionalität – connect will ein post-digitales Zeitalter einläuten, in dem auf solche Toxika verzichtet wird, ein Zustand, der vor nicht mal zwanzig Jahren noch die Norm war.

Und es funktioniert! Ava fühlt sich pudelwohl bei connect, verbringt jede freie Stunde in der Gruppe und übernimmt sogar Aufgaben in der Organisation. Allerdings vernachlässigt sie ihren Job, der ihr immer sinnloser erscheint, und wendet sich auch von Freunden und Familie ab. Diese stehen connect sehr skeptisch gegenüber, denn von außen betrachtet, erfüllt die Gruppe alle Merkmale einer Sekte. Jeder Versuch, Ava zu überzeugen, dass es bei connect nicht mit rechten Dingen zugeht und Guru Dev ein gefährlicher Spinner ist, stoßen auf taube Ohren. Noch schlimmer: Ava kappt alle Kontakte, kündigt ihren Job, zieht dauerhaft zu connect – und scheint verloren.


[Achtung: Die folgenden Absätze enthalten Spoiler!]

Thea Mengeler hat mit CONNECT einen – und ich benutze das folgende Wort so wie es im Buch gedeutet wird – merkwürdigen Roman geschrieben, also einen Roman, der des Merkens würdig ist. Das liegt aber weder am Schreibstil, der ohne großen Schnickschnack auskommt, noch am Figurenensemble, das hier und da doch einige Klischees bedient. Die große Kunst dieses Romans liegt allein an der Erzählperspektive, die perfekt ausgelotet ist. Man beobachtet die bemitleidenswerte Ava dabei, wie sie in der connect-Gruppe neue Hoffnung, neuen Lebensmut schöpft und ist komplett auf ihrer Seite, weil sie eine wunderbare Sympathieträgerin ist. Man versteht ihre Beweggründe, lässt sich wie sie auf connect ein und denkt die ganze Zeit, das sind die Guten. Ich hoffe, ich verrate nicht zu viel, wenn ich sage: Nein, sind sie nicht!

Ich für meinen Teil habe jedenfalls erst auf den letzten fünfzig Seiten gemerkt, dass mit connect etwas nicht stimmt, und dass Guru Dev kein guter Mensch ist. Bis dahin dachte ich, dass die Aktionen dieser Gruppe auf rein moralisch-humanistische Nächstenliebe zielen, aber dem ist nicht so. Dabei gibt es ständig kritische Hinweise gegen connect, die aber immer von Außenstehenden kommen und nur wie durch einen Schleier zu Ava – und also auch zur Leserschaft – dringen. Man kommt gar nicht dazu, die Gruppe zu hinterfragen, weil man sie nur aus der Perspektive einer manipulierten Hardcore-Followerin erfährt. Ich habe mich also zweihundertfünfzig Seiten lang schön verschaukeln lassen und mich am Ende dafür sogar etwas geschämt. Dieses Geständnis ist nicht als Kritikpunkt gedacht, ganz im Gegenteil: Wenn ein Roman so etwas schafft, kann es sich nur um ein gelungenes Buch handeln.


CONNECT erschien im Wiener Leykam Verlag, dem ich herzlichst für das Rezensionsexemplar danke. Mit einem Klick aufs Coverbild gelangt Ihr zur Verlagsseite, wo Ihr Informationen über Buch und Autorin, sowie eine Leseprobe findet.

Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

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