NL 2021 | 352 Seiten
OT: »Zuurstofschuld«
Aus dem Niederländischen von Ruth Löbner
Mairisch Verlag
ISBN: 978-3-948722-25-8
Jedes Geräusch kommt von mir, und es ist ohrenbetäubend.
(Seite 9)
Für alle, die es noch nicht wussten: Das HRO in Bookster HRO steht für die Hansestadt Rostock, es ist das Kfz-Kennzeichen. Ich lebe also an der wunderschönen Ostseeküste. Hier ist es herrlich – warme Sommer, milde Winter, kilometerlange Strände und eine Badesaison von Ostern bis Oktober. Womit Rostock allerdings nicht glänzen kann, sind Berge. Das Viertel, in dem ich wohne, liegt in der verhältnismäßig schwindelerregenden Höhe von 23 Metern über Null. Tja, hier kann man sehr bequem Fahrrad fahren, rauhe Felswände erklimmen eher nicht. Walter Welzenbach – Ich-Erzähler in Toine Heijmans‘ Roman DER UNENDLICHE GIPFEL – käme hier wohl kaum auf seine Kosten.
Walter und sein Freund Lenny sind Bergsteiger von ganzem Herzen. Sie haben ihr komplettes Leben diesem Hobby verschrieben, bereisen seit ihrer Jugend die höchsten Berge der Erde und scheuen weder unfassbare Strapazen noch horrende Kosten, um sich in den Logbüchern der Gipfelkreuze zu verewigen. Seit Jahren trainieren und klettern sie gemeinsam, sind ein eingeschworenens Teeam, bei dem jeder genau weiß, was der andere macht – ohne dieses Vertrauen wären die Kletterpartien viel zu riskant. Doch irgendwann wählt Lenny ein eher bürgerliches Leben, gründet eine Familie und nimmt einen mehr oder weniger normalen Fulltime-Job am Boden an. Walter bleibt den Bergen treu, doch findet er ohne seinen Kameraden keine Erfüllung mehr. Nun steht er allein in über 8000 Metern Höhe auf dem höchsten Gipfel der Welt und lässt sein Leben Revue passieren, ein Leben voller Herausforderungen und Erfahrungen – ein Leben am Abgrund.
Das letzte Mal, dass ich die rauhe und zügellose Kraft der Natur durch bloßes Lesen geradezu körperlich spüren konnte, war bei der Lektüre von Christoph Ransmayrs DIE SCHRECKEN DES EISES UND DER FINSTERNIS. Auch Toine Heijmans gelingt es, Kälte so zu beschreiben, dass man friert, und Höhe so, dass einem schwindelig wird. Auch findet er sehr passende, fast philosophische Sätze, die deutlich machen, wie klein und unbedeutend der Mensch gegen die schiere Urgewalt der Berge ist, mit ihrer Äonen langen Geschichte, die auch noch andauern wird, wenn wir schon längst zu Staub zerfallen sind.
Dreißig Jahre Bergsteigen, nicht mal eine Nanosekunde im Holozän. Aus geologischer Sicht gehören wir ins selbe Zeitalter wie die Römer. Und weiter zurück, noch weiter; die Berge lachen uns aus, so kurz sind wir erst auf der Welt.
(Seite 17)
Zusätzlich zur Haupthandlung um Walter und Lenny macht Heijmans immer wieder erzählerische Ausflüge zu großen Persönlichkeiten der Bergsteigerhistorie – Toni Kurz, Allison Hargreaves, Reinhold Messner und anderen – und berichtet ganz nebenbei, wie sich das Klettern von der einstigen Pionierarbeit zum hippen Extremsport gewandelt hat, inklusive Berg-Influenzern mit zigtausend Followern und GoPros an den Helmen.
DER UNENDLICHE GIPFEL ist mehr als nur ein Roman über zwei Kletterer. Es ist ein Text über unsere Sehnsucht, Orte zu erreichen, die nicht für uns gemacht sind, über lebensbedrohliche Grenzerfahrungen und nicht zuletzt über die Frage, was einen Menschen ausmacht. Ganz große Leseempfehlung!
DER UNENDLICHE GIPFEL erschien in der Übersetzung von Ruth Löbner im Mairisch Verlag, dem ich herzlich für das Rezensionsexemplar danke. Mit einem Klick aufs Coverbild kommt ihr zur Verlagsseite, wo Ihr Informationen über Buch und Autor, sowie eine Leseprobe findet.
Eine kleine Bitte noch: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.
[…] Eine weitere Besprechung gibt es auf dem Blog „Bookster HRO“. […]
LikeLike