Christian Torkler | DER PLATZ AN DER SONNE

D 2018 | 592 Seiten
Büchergilde Gutenberg
ISBN: 978-3-7632-7073-6

Ich kann das Meer nicht sehen von hier aus, aber ich kann es riechen. (Seite 7)

Josua hat die Schnauze voll: Sein von Bürgerkriegen zerrüttetes Land wird von Verbrechern regiert, das Volk leidet unter Hunger und Arbeitslosigkeit, die Kriminalität steigt mit jeder Nacht und als rechtschaffender Bürger hat Josua keine Chance auf Selbstverwirklichung. Doch es gibt einen Ausweg, den schon viele seiner Landsleute gewagt haben. Die riskante Flucht nämlich übers Mittelmeer zu den Unionsstaaten, in denen Frieden und Wohlstand herrschen, demokratische Werte gelten und die Bürger in Solidarität und Akzeptanz miteinander leben.

Ist es also ein Flüchtlingsdrama, das uns Christian Torkler (*1971) hier vorsetzt? Ja, aber ein ganz besonderes. Denn Josua ist kein Bürger eines x-beliebigen afrikanischen Landes, auf das die Geschichte passen könnte – er ist Deutscher. Preuße, um genau zu sein, denn Torkler erspinnt in seinem Debütroman eine Parallelwelt, in der nach dem Zweiten Weltkrieg gleich ein Dritter folgt. Die Besatzungsmächte bekriegen sich viele Jahre lang bis Europa endgültig am Boden liegt. Übrig bleibt ein Kontinent voller Kleinstaaten, der in Armut und Kriminalität zu Grunde geht.

Afrika dagegen hat es besser erwischt. Hier gab es das segenbringende Wirtschaftswunder, die Staaten sind stabil und zur Afrikanischen Union vereint, gezahlt wird überall mit dem Afri. Was Torkler hier veranstaltet, ist nicht nur ein simples Umkehren der Realität – es ist ein Gedankenspiel, das auf den zweiten Blick wirkt, wie ein Schlag in den Magen. Die unmissverständliche Message des Autors, die sich mit jeder Seite dringlicher in den Leser bohrt, ist: Seid froh und dankbar! Unser Wohlstand ist kein Grundrecht, sondern ein Zufallsprodukt der Geschichte. Josua, der auf seiner Flucht alles riskiert und jede Qual auf sich nimmt, ist kein raffgieriger Schnorrer. Er versucht nur, sein Glück zu finden, weil es in seinem Land keine Chance mehr darauf gibt. Damit steht er als literarische Figur stellvertretend für Millionen von Menschen, die sich in der realen Welt dieser Herausforderung stellen.

Ein starker Plot, ganz ohne Frage. Aber es gibt bei diesem Roman ein riesiges Problem, das ich schon nach fünfzig Seiten beim besten Willen nicht mehr ignoreren konnte. Und zwar ist das der furchtbar fade Schreibstil, der alle Dramatik schon im Keim erstickt. Das Buch ist in der Ich-Form aus der Sicht Josuas geschrieben und zum Bersten gefüllt mit aus der Mode gekommenen Redewendungen und Kalendersprüchen, die sich oft wiederholen und schnell nerven. Josua ist von einfacher Natur und nicht gerade eine philosophische Leuchte, was seine doch sehr oberflächlichen Gedankengänge beweisen, aber – um nur wenige zu nennen – Oberkante Unterlippe? Die Fresse polieren? Es iss wie’s iss [sic!]? Das ist alles so harmlos und passt so überhaupt nicht zur doch sehr dramatischen Handlung. Selbst wenn Josua flucht, klingt er wie ein putziges altes Männchen, das von seinem letzten Bingoabend erzählt. Ich kann es nicht anders sagen: Der unzureichende Schreibstil versaut fast das ganze Buch. Selten habe ich einen Roman gelesen, in dem Inhalt und Stil so völlig aneinander vorbei gehen.

Großartiger Plot, wichtige Message, furchtbar geschrieben.


9783608962901CT-DPADSDER PLATZ AN DER SONNE erschien bei Klett-Cotta und bekam bei der Büchergilde Gutenberg eine Neuauflage. Mit je einem Klick auf die Cover kommt Ihr zu den Verlagsseiten. Eine sehr positive Rezension könnt Ihr beim Kaffeehaussitzer lesen, der mich erst auf den Roman aufmerksam gemacht hat.

2 Gedanken zu “Christian Torkler | DER PLATZ AN DER SONNE

  1. Ich versteh dich wegen der Sprache. Für mich persönlich, wahrscheinlich auch wie bei Uwe, hat sich das aber genau richtig angefühlt, da Josua aus einfachen Verhältnissen kommt. Wie immer eine Geschmackssache 😉

    Liebe Grüße
    Marc

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