Melinda Nadj Abonji | TAUBEN FLIEGEN AUF

CH 2010 | 315 Seiten
Jung und Jung
ISBN: 978-3-902497-78-9

Als wir nun endlich mit unserem amerikanischen Wagen einfahren, einem tiefbraunen Chevrolet, schokoladefarben, könnte man sagen, brennt die Sonne unbarmherzig auf die Kleinstadt, hat die Sonne die Schatten der Häuser und Bäume beinahe restlos aufgefressen, zur Mittagszeit also fahren wir ein, recken unsere Hälse, um zu sehen, ob alles noch da ist, ob alles noch so ist wie im letzen Sommer und all die Jahre zuvor. (Seite 5)

INHALT: Die Verwandten der Familie Kocsis staunen nicht schlecht, als diese mit einem riesigen schokoladenbraunen Chevrolet im alten Heimatdorf zu Besuch aufkreuzen. Es ist Sommer 1980, Tito ist gerade gestorben, das Dorf liegt in der Vojvodina, einer autonomen Provinz im serbischen Teil Jugoslawiens. Hierhin verschlägt es die Kocsis jedes Jahr, um ihren Angehörigen Neuigkeiten aus dem »Wilden Westen« zu überbringen.

Denn die Schweiz ist die neue Heimat der Kocsis, die dort mit einem Café versucht Fuß zu fassen. Der Laden läuft so gut, dass Mitarbeiter eingestellt werden müssen, allesamt aus der blockfreien Zone: Kroaten, Serben, Bosnier. Da kommt es schonmal zu Streitigkeiten innerhalb der Belegschaft, aber auch unter den Schweizer Anwohnern gibt es nicht nur Wohlwollen, was zu Anfeindungen und tätlichen Angriffen führt. Zu allem Übel zerfällt auch die alte Heimat und es droht ein Bürgerkrieg in Jugoslawien.

FORM: Melinda Nadj Abonji (*1968) wählt für ihre etwa zwanzig Jahre umfassende Familiengeschichte die personale Erzählperspektive aus der Sicht der Tochter Ildikó. Diese lässt sie in gekonnt verschwafelten Sätzen durch die Jahre und Ereignisse springen. Selten ist ein Satz kürzer als zwanzig, dreißig Wörter – noch ein Komma, Klammer auf, Klammer zu, Gedankenstrich, wieder ein Komma, und noch nicht zu Ende. Dieser Erzählton wirkt jugendhaft atemlos und vielleicht ein bisschen naiv, passt aber perfekt auf den Charakter Ildikós, die trotz aller Schwierigkeiten nie den Mut verliert.

FAZIT: Nadj Abonji konnte mit TAUBEN FLIEGEN AUF einen Bestseller landen, nicht zuletzt weil sie mit ihm 2010 sowohl den Deutschen als auch Schweizer Buchpreis gewann, Erfolge, die man ihr gönnen kann. Mir hat die Geschichte auch ganz gut gefallen, nur die überbordende Fabulierwut fiel mir stellenweise lästig. Vier Sterne.

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