Andrew Sean Greer | MISTER WENIGER

USA 2017 | 331 Seiten
OT: »Less«
Aus dem amerikanischen Englisch von Tobias Schnettler
S. Fischer Verlag
ISBN: 978-3-10-397328-0

Von meiner Warte aus wirkt die Geschichte des Arthur Weniger gar nicht so schlimm. (Seite 7)

Arthur Weniger, Schriftsteller aus San Francisco, stehen zwei furchtbare Dinge bevor: Er wird demnächst fünfzig – ein Termin vor dem er große Angst hat – und Freddy Pelu, Liebe seines Lebens, heiratet demnächst einen anderen. Um dem ganzen Hochzeitstrubel zu entgehen, macht sich Weniger auf, die Welt zu erkunden. Teils beruflich, teils privat nimmt er über Monate hinweg Angebote aus aller Welt an. New York, Mexiko, Italien, Deutschland, Frankreich, Marokko, Indien, Japan – das ist die Route seiner ehrgeizigen Reise, die eigentlich eine Flucht ist. Eine Flucht vor den Leuten und sich selbst. Denn was Weniger am meisten fehlt, ist Selbstvertrauen.


Andrew Sean Greer (*1970) kennen die meisten sicher durch seinen Erfolgsroman DIE ERSTAUNLICHE GESCHICHTE DES MAX TIVOLI, ein – wie ich damals fand – dreistes Plagiat des Benjamin-Button-Themas von F. Scott Fitzgerald. Seitdem hatte ich Greer überhaupt nicht mehr auf dem Schirm – für mich persönlich als irrelevant eingestuft –, bis im April die Meldung kam, er hätte mit seinem aktuellen Roman den Pulitzer Prize for Fiction gewonnen. Schau mal einer an, dachte ich, dann geb‘ ich ihm wohl noch eine Chance. Abschreckenderweise las ich im Klappentext als erstes: »Eine erfrischend andere Liebeskomödie.« Sind Pulitzer-Romane sonst nicht immer tragische Schwergewichte voller Gewalt und Tod? Nun also eine Romanze. Na, das kann ja was werden – ich und Liebesgeschichten…

Der Spaß kam aber beim Lesen. Greer zeigt in MISTER WENIGER einen unglaublich zielsicheren Humor. Der Roman beginnt in bester Screwball-Manier temporeich und chaotisch, wird aber zum Ende hin, wenn wir Weniger schon etwas besser kennen, entspannter und tiefgründiger, ohne aber auf Lacher zu verzichten. Manche seiner Pointen bereitet Greer lange vor, sodass wir ihm erst um ein paar Ecken folgen müssen, bis der Groschen fällt. Die Dialoge sind stark und auch die Figuren sind liebevoll und tief gezeichnet. Mit vielen gut eingebetteten Rückblenden lernen wir vor allem den Titelhelden sehr gut kennen, was ihn mit all seinen Macken unglaublich symphatisch macht. Der Schluss wartet mit einem guten Twist auf, den man zwar schon vor dem Ende wittern kann, was dem Lesespaß aber keinen Abbruch bereitet.

Die Übersetzung von Tobias Schnettler hakt hier und da etwas, besonders bei den Szenen, die in Deutschland spielen, was man Schnettler aber nicht in Rechnung stellen kann. Artur Weniger ist der deutschen Sprache mächtig – zumindest ist er dieser Überzeugung –, und was im amerikanischen Original als Wortwitz durchgeht, funktioniert im Deutschen nur bedingt. Sei’s drum. Schwieriger fand ich da schon die Entscheidung, den Namen unseres Helden ins Deutsche zu übertragen. Bei der Hälfte der Lektüre wagte ich einen Blick in die Leseprobe des Originals und stellte fest, dass Arthur Weniger dort Arthur Less heißt. (Bis dahin hatte ich Weniger immer amerikanisch gelesen – also ungefähr: Uennigga –, danach nicht mehr.) Diese Umbenennung ist, wie ich finde, unsinnig und hemmt den Lesefluss.

Habe ich denn nun meinen Frieden mit Greer gemacht? Ja, das kann man schon so sagen. MISTER WENIGER ist wundervoll zartherzig, sehr witzig und – vor allem – frei von jedem Kitsch. Für den Pulitzer Prize ist mir der Roman dennoch zu untypisch. Es ist ein Buch für laue Sommerabende. Es ist gute Unterhaltung – nicht mehr, aber auch nicht weniger.


Greer_wenigerMISTER WENIGER ist im S. Fischer Verlag erschienen, dem ich herzlichst für das Rezensionsexemplar danke. Alle weiteren Informationen zu Buch und Autor findet Ihr hier. Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

4 Gedanken zu “Andrew Sean Greer | MISTER WENIGER

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