USA 2022 | 464 Seiten
OT: »Brother Alive«
Aus dem Amerikanischen von Eva Regul
Kjona Verlag
ISBN: 978-3-910372-02-3
Was soll ich dir antworten, wenn du fragst?
(Seite 11)
Der folgenden Rezension möchte ich eine Einführung voranstellen. Da gibt es nämlich diesen neuen Verlag Kjona aus München, der Ende 2022 intensiv mit seiner Neugründung geworben und auf seine Philosophie hingewiesen hat. Die großen Stichworte dabei waren Nachhaltigkeit, Fairness und Unabhängigkeit. Die Produktion der Bücher sei klimaneutral und alle Beteiligten würden gleichberechtigt bezahlt.
Alles schön und gut, aber das war – zumindest auf meinen Radar – die erste Werbekampagne für einen neuen Verlag, bei dem das Drumherum vor die Literatur gestellt wurde, die dort erscheinen würde. Das fand ich so ungewöhnlich, dass ich mir sofort die beiden Romane aus dem ersten Programm nach Hause bestellte, und siehe da: Gleich das erste Buch war ein Reinfall. (Dana Spiottas UNBERECHENBAR konnte mich überhaupt nicht überzeugen, ein Buch, das zig Dinge anspricht, aber nichts zu einem irgendeinem Ende bringt. Mir gab die Story so wenig, dass mir nicht mal ein vernünftiger Verriss einfiel. Bei Instagram dagegen wurde der Roman im Fahrwasser der Kjona-Werbetrommel erwartungsgemäß gehyped und in alle Himmel gelobt – man will es sich ja nicht mit den sympathischen Kjona-Jungs verscherzen.) Danach hatte ich offen gestanden keine große Lust mehr auf die zweite Veröffentlichung: BRUDER von Zain Khalid – der Autor hat ja noch nicht mal einen Wikipedia-Eintrag! Ich war schon drauf und dran, den Verlag für mich abzuhaken und die Bücher zurückzuschicken … doch dann hätte ich ein wirklich gutes Buch verpasst.
Khalid erzählt von drei ungleichen Brüdern, die in Staten Island aufwachsen. Dayo hat nigerianische Wurzeln, Iseul koreanische und Youssefs Familie kam aus Arabien. Adoptiert wurden sie von Salim, einem muslimischen Prediger, der die drei nach den ungeklärten Todesfällen der jeweiligen Elternpaare nach Amerika holte. Zunächst läuft alles mehr oder weniger ruhig und nach Plan ab, doch als Salim im Alter an Demenz erkrankt, lässt er immer öfter Andeutungen zur unklaren Herkunft der Jungs ab, die ihre Aufmerksamkeit wecken. Auch seine Predigten werden aggressiver und fundamentalistischer, was gar nicht so recht zu dem eigentlich weltoffenen Mann passen will. Schließlich verschwindet Salim und hinterlässt einen langen Brief, der die Brüder – mittlerweile erwachsen – zu einer Reise in eine ungeahnt futuristische Welt zwingt, in der sie mit ihrer Vergangenheit konfrontiert werden und Genugtuung finden können.
Zain Khalid ist eine echte Entdeckung. Die weit mehr als vierhundert Seiten habe ich in einer für mich rekordverdächtigen Zeit geradezu verschlungen – ein Leserausch, der bei mir nur selten aufkommt. Die vielschichtige Story ist perfekt komponiert und wartet an den genau richtigen Stellen mit Twists und Perspektivwechseln auf, so dass der Spannungsbogen gehalten wird und das Große und Ganze nur allmählich an Form gewinnt – und das hat es echt in sich. Die Figuren haben ausreichend Tiefe und machen viel an Entwicklung und Tragik durch. Die Sprache ist eine interessante Mixtur aus märchenhaft Erzähltem und poetischen Beobachtungen. Auch etwas Magie ist im Spiel, denn der titelgebende Bruder ist eine Art Geist, der nur Youssef erscheint, die Gestalt wandeln kann und die Geschicke der realen Brüder begleitet und in die entscheidenden Richtungen lenkt.
Ein wirklich großartiger Roman. Dank BRUDER konnte ich meinen Frieden mit Kjona machen – manchmal muss man eben zwei Mal hinsehen, bevor man Größe erkennt. Und ganz ehrlich: Die Bücher sind wirklich vorbildlich produziert und sehen gut aus im Regal. Ich wünsche dem jungen Verlag weiterhin viel Erfolg und freue mich auf die nächsten Programme!
BRUDER erschien in der Übersetzung von Eva Regul im Kjona Verlag, dem ich herzlichst für das Rezensionsexemplar danke. Mit einem Klick auf Coverbild gelangt Ihr zur Verlagsseite, wo Ihr Informationen über Buch und Autor, sowie eine Leseprobe findet.
Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.
Danke für diese lehrreichen Worte:)
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Lehrreich in Bezug auf den Verlag oder das Buch? Eigentlich lasse ich mir ungern in die Karten schauen, wie ich so zu Verlagen stehe, aber hier fand ich das angebracht. Und das Buch ist wirklich sehr lesenswert. Schwierig, nicht zu viel verraten, hab ich beim Schreiben gemerkt.
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Beides, natürlich!
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