Dilek Güngör | A WIE ADA

D 2024 | 110 Seiten | 20 Euro
Verbrecher Verlag
ISBN:
978-3-95732-579-2

Du fängst aber früh an, sagt die Kindergartentante.

(Seite 5)

Niemand ist eine Insel, heißt es so schön, doch Ada merkt früh, dass sie nicht gänzlich zum Festland gehört. Ada ist die Tochter türkischer Einwanderer, sie wächst in Deutschland auf, steckt aber ihr Leben lang zwischen den beiden Kulturen fest. Ihre Eltern sind streng und altmodisch, anders als die Eltern der anderen Kinder im Kindergarten und später in der Schule. Zwar freundet sie sich schnell mit dem Gedanken an, nie so ganz dazuzugehören, träumt aber insgeheim von jener Verbundenheit, die die anderen Familien wie selbstverständlich vorleben. Ada bleibt eine Insel zwischen den Ufern von Zugehörigkeit und Identität, ein Schicksal, das ihr scheinbar in die Wiege gelegt worden ist – Ada ist das türkische Wort für Insel.

Es ist anzunehmen, dass Dilek Güngör ziemlich genau weiß, worüber sie schreibt. Sie gehört zu jener Gruppe Schreibender, die in ihren Texten das eigene Aufwachsen als Migrantenkinder fiktionalisieren, ein Genre, dass besonders in der letzten Dekade viel Zulauf bekommen hat. Die Unterschiede der türkischen und deutschen Kultur und der Versuch, beides in sich zu vereinen – und dabei irgendwie glücklich zu werden –, ist ein schier unversiegbarer Quell diverser Geschichten. Auch Güngörs mittlerweile vierter Roman A WIE ADA reiht sich in diese Riege erzählenswerter Schicksale ein.


Der beschriebene Lebensweg von Ada reicht von ihrer Kindheit bis ins Alter jenseits der Fünfzig, in dem sie selbst schon verheiratet ist und Kinder hat. Die Inselhaftigkeit lässt sie nie ganz los, zu dominant ist die Prägung, nie ganz angekommen zu sein. Als Kind ist Ada eher schweigsam, ein Wesenszug, den sie früh entwickelt, um nicht ständig in den Zwang zu geraten, sich erklären zu müssen. Sie macht viel mit sich selbst aus, steht sich damit aber auch oft im Weg. Sie will den anderen Kindern gefallen, sich aber nicht absichtlich und über die Maßen verstellen; sie möchte ihre Eltern stolz machen, ist aber auch neidisch auf die scheinbare Ungezwungenheit anderer Familien.

Natürlich sind solch wirren Gefühle während des Heranwachsens nicht ausschließlich migrantischen Kindern vorbehalten. Die Frage der Herkunft aber bringt nochmal einiges an Dramatik in die Geschichte, denn schlussendlich ist es der leise Alltagsrassismus, der sich ihr immer wieder in den Weg stellt. Auch wenn sie irgendwie einen Weg findet, in diesem Land doch anzukommen – obwohl sie schon immer hier war –, bleibt sie im Grunde ihres Wesens allein.

Das Motiv der Inseln findet sich auch in der Form des Romans wieder: Mehr als siebzig kurze Kapitel sind auf den gerade mal so hundert Seiten versammelt wie ein Archipel kleiner Sandbänke zwischen den Küsten zweier Länder. Manche Kapitel sind melancholisch, andere humorvoll, immer jedoch setzt Güngör eine kleine Erkenntnis an die Enden der kurzen Texte. Die miniaturhaften Episoden sind völlig lose aneinandergereiht, folgen keinen chronologischen oder dramaturgischen Vorgaben. Dadurch lässt sich das Buch an jeder beliebigen Stelle aufschlagen und weiterlesen. Wenn man Ada erst einmal kennengelernt und ins Herz geschlossen hat – was dank Güngörs einfühlsamer Art zu schreiben nicht übermäßig schwer fällt –, kann man ihrer Geschichte mal hier, mal da folgen, ohne auf die Zwänge handlungsorientierter Prosa achten zu müssen. Auch die geringe Länge des Romans ist nur oberflächlich betrachtet eine Einladung zur schnellen Lektüre. Wenn man es darauf anlegt, ist das Buch in einer guten Stunde ausgelesen. Man kann den Lesegenuss aber auch auf viele Tage ausweiten, sich jedes Kapitel einzeln vornehmen, mehrmals lesen und tief ergründen – genau darauf scheint das Buch ausgelegt zu sein. 

A WIE ADA ist ein großartiger Roman – poetisch in der Sprache, vielschichtig in der Figurenzeichnung und ein sehr lesenswerter Beitrag in der Literatur über Herkunft und Heimat.


A WIE ADA erschien im Verbrecher Verlag, dem ich herzlichst für das Rezensionsexemplar danke. Mit einem Klick auf das Coverbild gelangt Ihr zur Verlagsseite, wo Ihr Informationen über Buch und Autorin, sowie eine Leseprobe findet.

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