Thomas Willmann | DER EISERNE MARQUIS

D 2023 | 928 Seiten
Liebeskind Verlag
ISBN: 978-3-95438-165-4

Kommt her, meine Ratten. Habt nur Vertrauen! Lasst Euch nieder vor mir, auf diesen Steinen, welche meine Schritte speckig schlurften.

(Seite 7)

Kommt her, meine Leseratten, und lasst Euch berichten, welch spezielles Buch sich unlängst unter mein Binokel verirrte. Zunächst, ganz unscheinbar, machte es sich in der frühen Schau eines Münchner Verlages dünn und klein, um sich wie im Spiele vor einem Fänger zu verstecken. Fast schon hätte ich es übersehen zwischen all den bunten Seiten, doch ein wohl von Fortuna gelenkter Blick rückte das Werk letztlich noch in meinen Fokus, auf dass der Funke des Interesses übersprang und ich meinen Boten in die ferne Hauptstadt Bayerns schickte, mir das unscheinbare Büchlein zu besorgen. Als der Bote mir nach kräftezehrender Reise endlich das Päckchen übergab, war ich bass erstaunt ob des Umfangs des Romans – fast tausend Seiten lagen dort schwer in meinen Händen, eng bedruckt und schön gebunden. Nun denn, so sollte es sein. Ich gab dem Boten einen Schilling extra und den Rest der Woche frei, setzte mich in mein Fauteuil und begab mich auf eine ganz besondere Reise…


Wir schreiben das Jahr des Herren siebzehnhundertnochetwas. Erzählt wird das Leben des Uhrmachers Jakob Kainer, ein Name, den sich der Jüngling – nebst allerlei Fähigkeiten auf den Gebieten der Mechanik – erst in der zweiten Hälfte seines an Aufregung nicht armen Lebens aneignet. Jener Jakob sitzt im gammeligen Kerker einer Irrenanstalt und fraternisiert in Kot und Schimmel mit den Ratten der Gemäuer. Er sei ein Mörder, verrät er zu Beginn den gierigen Nagern. Ja, seine bloße Existenz schon begann mit dem Tode, indem er den Schoß seiner Mutter zerfetzte, auf dass diese sich nicht mehr davon erholte und aus dem Leben wich. Vom Vater auf Dauer missachtet und früh dem Hause verwiesen, beginnt der Bub eine Lehre in der Uhrenkunde im großen Wien, wo ihn nicht nur das Arbeitsleben in die Mangel nimmt, sondern auch der Zauber der makellosen Amalia, Tochter eines adeligen Kunden des Uhrengeschäfts seines Meisters. Monatelang versucht Jakob der Schönheit den Hof zu machen – und hat auch Erfolg mit seiner Balz –, doch eine Liebe über die gesellschaftlichen Stände hinaus ist nicht nur aussichtslos, sondern ferner auch verboten.

Ein Schicksalsschlag trennt den Gesellen von der Angebeteten und er findet sich in einem Krieg wieder, der Europa derweil in seinen blutigen Fängen hält. Nach dieser persönlichen Zäsur – der Erkenntnis, dass der Mensch, zu solchen Grausamkeiten imstande, verloren ist – wirbelt ihn der Zufall in die Arme des wohlhabenden Marquis von D–––. Dieser erkennt die handwerklichen Fähigkeiten des jungen Mannes – gereift zwar, doch durch Trauer und Krieg ordentlich betrübt – und nimmt ihn in seine Obhut in der Weltstadt Paris. Der Marquis – jener übrigens, der dem Buche hier seinen ehernen Titel verleiht – leidet an einer Wundkrankheit, die ihm nach und nach den Arm hinanwächst. Handelt er nicht, wird ihm dieses Gebrechen früher oder später den Garaus machen. Nach langem Forschen, inwieweit sich Technik und Leben zu einer Art Biomechanik verbinden lässt, kann Jakob eine eiserne Prothese werkeln, die dem Marquis Hoffnung auf Genesung, oder gar Verjüngung bringt. Doch damit ist dem feinen Herrn der Hilfe nicht Genüge getan. Er forscht weiter in die Richtung, nimmt Einfluss in Vorgänge, die allein einer göttlichen Übermacht zustehen sollte, und erhebt sich in seiner Gier nach Jugend selbst über Gevatter Tod, den Schwarzen Schnitter. Jakob verliert sich im Wahn seines Herrn, gefangen zwischen ethischen Grenzen und Forscherdrang.


Ihr Lieben, es ist mir kaum möglich, meine Begeisterung ob dieses Buches in adäquatere Worte zu kleiden, als mit diesem Versuch, der nur des spottenden Beklagens wert ist. Der Romancier Thomas Willmann begibt sich mit DER EISERNE MARQUIS in Sphären, die ehedem so großen Namen wie Alexandre Dumas und Victor Hugo vorbehalten waren. Selten habe ich einen Text gelesen, der die Sprache, den Duktus einer längst vergangenen Epoche so gekonnt imitiert, wie es dieser wohl von allen Musen geküsste Mann hier vollbringt. Fürwahr, knapp tausend Seiten sind nicht in einem Rutsch zu lesen – die Sentenzen sind mitunter lang und bedürfen nicht selten einen zweiten oder auch einen dritten Durchgang, um in ihrer Gänze ergründet zu werden.

Doch kann ich aus Erfahrung mit dieser besonderen Lektüre berichten, dass man sich durchaus auf das Wagnis einlassen kann und – nach den ersten zehrenden Kapiteln – schnell einen Zugang in den außergewöhnlichen Stil findet. (Ich las – einmal gefangen im Drunter und Drüber des Lebens Jakob Kainers – den Schinken in weniger als zwei Wochen, was für meine Verhältnisse einen doch enormen Erfolg darstellt, den ich in den kommenden Tagen mit dem einen oder anderen Eigenapplaus feiern werde.) Die Geschichte selbst, reich an Handlung und Spannung, macht es den geneigten Lesenden schlussendlich also doch leicht, bis zum Finale durchzuhalten, das an Fulminanz in diesem Leseherbst wohl kaum zu überbieten sein wird. Ein Fest für alle, die die französischen Klassiker lieben und ein unvergessliches Erlebnis für mich ganz persönlich. Ich wische mir nun die Freudentränen aus den vom langen Lesen geröteten Augen, erhebe mich aus meinem verschwitzten Fauteuil und stelle dies wunderbare Büchlein in meine Vitrine – es bekommt einen prominenten Ehrenplatz.


DER EISERNE MARQUIS erschien im Liebeskind Verlag, dem ich herzlichst für das Rezensionsexemplar danke. Mit einem Klick auf das Coverbild gelangt Ihr zur Verlagsseite, wo Ihr Informationen über Buch und Autor, sowie eine Leseprobe findet.

Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

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