John von Düffel | DER BRENNENDE SEE

D 2020 | 320 Seiten
Dumont
ISBN: 978-3-8321-8122-2

Reisen mit leichtem Gepäck war eine Gewohnheit, die sie von ihrem Vater übernommen hatte – eine der wenigen, für die sie sich nicht schämte. (Seite 9)

Jetzt haben wir ihn endlich – den Roman zu Fridays for Future. Lange schon habe ich damit gerechnet und im stillen Kämmerlein gerätselt, wer als erstes die Jugendbewegung, die im letzten Jahr wohl am meisten für Furore gesorgt hat, literarisch verarbeiten wird. Und siehe da: Es ist John von Düffel, immer mit kühlem Blick am Puls der Zeit. Doch wie es sich für einen von Düffel-Roman gehört, ist das nicht das einzige Thema, das er hier beackert. Ganz im Gegenteil, die Klima-Aktionen sind in DER BRENNENDE SEE eher ein Nebenschauplatz. Es beginnt zunächst im kleinen, familiären Kreis…


Hannah ist auf dem Weg in ihre alte Heimatstadt, um den Nachlass ihres kürzlich verstorbenen Vaters zu regeln, seinen Haushalt aufzulösen und sich mit dem ganzen Papierkram auseinanderzusetzen, den der Tod eines Familienmitgliedes so nach sich zieht. Im Falle ihres Vaters ist es sogar noch etwas komplizierter, denn als erfolgreicher Schriftsteller hinterlässt er auch ein geistiges Erbe, an dem bereits Filmproduktionsfirmen erhebliches Interesse bekunden.

Mit all dem will Hannah jedoch wenig zu tun haben; sie möchte alles nur schnell und reibungslos über die Bühne kriegen und verzichtet dafür sogar auf eventuelle Reichtümer. Eigentlich hatte sie seit Jahren nicht mehr viel Kontakt zu ihrem Vater – und wollte es ursprünglich auch dabei belassen –, aber als sie sich in seiner Wohnung umsieht, fällt ihr ein Foto einer sehr jungen Frau, einem Mädchen fast noch, in die Hände, die sie sofort in den Bann zieht. Wer ist diese Frau und warum hatte ihr Vater ein Foto von ihr? Wie nahe standen sich die beiden und warum wusste Hannah nichts davon?

Mit dem Foto im Gepäck macht sich Hannah auf die Suche nach der Frau und erkennt sie in der sechzehnjährigen Julia, der Tochter ihrer alten Schulfreundin Vivien. Julia ist eine radikale Klima-Aktivistin aus dem militanten Lager, die zu Demonstrationen aufruft mit derben Umwelt-Aktionen immer wieder Gesetze bricht. Was hatte dieses Mädchen bloß mit Hannahs Vater zu schaffen? Beim Versuch, diese Frage zu klären, stolpert Hannah völlig überfordert von einer Ohnmacht in die nächste, denn es wird immer heißer in der Stadt und die Rätsel um ihren Vater werden immer verworrener.


Von John von Düffel (*1966) ist man es ja gewohnt, dass er seine Leserschaft über weite Strecken an der Nase herumführen kann, die Einzelheiten und Hintergründe seiner Fiktion nur stückweise preisgibt und einen Heidenspaß daran zu haben scheint. Sein letzter Roman KLASSENBUCH war ein Paradebeispiel für trickreiche Prosa voller Twists und Aha-Effekte. Ganz so wild treibt er es in DER BRENNENDE SEE zwar nicht, dennoch gibt es auch hier bis zum letzten Kapitel noch Sätze, die alles Gelesene noch einmal umstülpen.

Geschrieben ist der handlungsreiche Plot in einer sehr nüchternen Sprache, die weniger auf stilistische Tricks setzt, als eher auf die Beobachtung der Figuren. Einen wichtigen Teil dabei nimmt der Generationenkonflikt zwischen Hannah und Julia ein, die sich eigentlich recht ähnlich sind, aber dennoch jeweils Kinder ihrer Zeit. Am polarisierenden Thema des Klimaschutzes – das die Gemüter der unterschiedlichen Interessengruppen seit Jahren erhitzt wie kein zweites – dekliniert von Düffel diesen Konflikt sauber durch: Was will die Jugend; was will die Wirtschaft; was will die Politik? Und alles, ohne den moralischen Zeigefinger zu heben; eine Position, die ich in der Literatur sehr schätze – es gibt nichts Altbackeneres als moralisierende Literatur, die Wilhelm-Busch-Zeiten sind lange vorbei.

DER BRENNENDE SEE ist eine spannende Familiengeschichte, gepaart mit der aktuellen Fridays for Future-Thematik, ohne dass auch nur einmal der Name Greta fällt – lesenswert.


csm_9783832181222_ef93b6443eDER BRENNENDE SEE ist im Dumont Buchverlag erschienen, dem ich herzlich für das Rezensionsexemplar danke. Mit einem Klick aufs Coverbild kommt Ihr zur Verlagseite, wo Ihr Informationen über Buch und Autor, sowie eine Leseprobe findet. Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

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