Joachim Meyerhoff | ALLE TOTEN FLIEGEN HOCH Teil 4: DIE ZWEISAMKEIT DER EINZELGÄNGER

D 2017 | 416 Seiten
Kiepenheuer & Witsch
ISBN: 978-3-462-04944-2

»Willst du dich umbringen?« Das war der erste Satz, den sie zu mir sagte, und ich habe mich später noch oft gefragt, ob mir das eine Warnung hätte sein sollen. (Seite 7)

Wie schon die letzten Jahre habe ich auch 2019 mit meinem hochgeschätzten Joachim Meyerhoff beendet. Mit DIE ZWEISAMKEIT DER EINZELGÄNGER scheint Meyerhoffs autobiografisches Projekt ALLE TOTEN FLIEGEN HOCH vorerst auserzählt, obwohl ich mir sicher bin, dass es da noch einiges zu berichten gibt. Während die ersten drei Bände die Jugend, die Kindheit und die Ausbildung beleuchten, sind die Themen des letzten Teils Liebe und Beruf … und wie man dazwischen ordentlich die Balance verlieren kann.


Joachim hat also die Schauspielschule in München halbwegs erfolgreich absolviert und ist auf der Suche nach einer Anstellung als Schauspieler. Fündig wird er an einem Provinztheater in Bielefeld, das als typisches Sprungbrett zu den größeren Häusern gilt. Dort lernt er auch Hanna kennen, eine kauzige Studentin, die seine erste große Liebe wird. Als Joachim nach einer Spielzeit an ein Dortmunder Theater wechselt, hält er den Kontakt zu Hanna als Fernbeziehung aufrecht und besucht sie, so oft er kann.

Währenddessen verdreht ihm in Dortmund Franka den Kopf, eine attraktive Ensemble-Tänzerin, mit der Joachim eine Liaison eingeht, die faktisch nur aus Party, Drogen und Sex besteht. Und dann ist da noch Ilse, eine dicke Ruhrpott-Bäckerin, in deren Brezelstube er glücklich seine Morgenstunden verbringt. Diese drei Frauen bestimmen fortan Joachims Liebesleben. Die größten Herausforderungen bestehen darin, es ihnen allen recht zu machen und – vor allem! – sie voreinander geheimzuhalten. Dass das naturgemäß zum Scheitern verurteilt ist, versteht sich von selbst. Von Aufputschtabletten permanent wachgehalten und vom aufreibenden Schauspielberuf zusätzlich gestresst, schlingert Joachim von einer Katastrophe in die nächste.


Was ich an Meyerhoff so liebe, sind sein grandioses Gespür für Situationskomik und die Gabe, diese mit genau der richtigen Menge Tragik zu verbinden. Diese Mischung kam ganz besonders bei den letzten beiden Teilen zur Geltung. Da gab es Szenen, so brüllend komisch, dass ich mich zusammenreißen musste, nicht laut loszulachen. (Ich lese ja viel in der Öffentlichkeit, in Kneipen und in der Bahn, da sind solche Bücher manchmal wirklich nicht ganz einfach.) Dann wieder schreibt er mit einer solchen Einfühlsamkeit von seiner Familie und den Schicksalsschlägen, die ihn mit einer gewissen Regelmäßigkeit ereilen, dass es einem beim Lesen das Herz zuschnürt.

Leider kam dieses typische Meyerhoff-Feeling im letzten Band nicht mehr auf. Es ist sicher kein schlechtes Buch – davon ist es weit entfernt –, aber im direkten Vergleich muss man doch Abstriche machen. Die Szenen wirken wie eine eilig zusammengestellte Abfolge von Peinlichkeiten, die zu gewollt auf Lacher abzielen, und das anschließende Chaos ist vorhersehbar. Und dann gibt es da noch einen Todesfall, der – bei aller Dramatik – leider so wirkt, als ob Meyerhoff unbedingt noch etwas furchtbar Trauriges dabei haben wollte. Die letzte Szene dann, die ja nicht nur den Roman sondern die ganze Reihe abschließt, ist zwar sehr gelungen, kommt aber dermaßen holterdipolter ins Geschehen gestolpert, dass man denken könnte, dem Autor sei vorzeitig die Puste ausgegangen.

Doch auch wenn dieser Roman nicht ganz meinen Erwartungen entsprach, ich werde Joachim Meyerhoff weiterhin als guten Autor in Erinnerung behalten, seine Romane und Lesungen empfehlen und hoffe inständig, dass er noch weitere Bücher veröffentlicht. Der Mann kann schreiben, das hat er in den letzten Jahren immer wieder unter Beweis gestellt, und ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass er nichts mehr zu erzählen hätte. Also: Wer ihn noch nicht kennt, zugreifen!


978-3-462-04944-2DIE ZWEISAMKEIT DER EINZELGÄNGER erschien bei Kiepenheuer & Witsch und ist dort mittlerweile auch als Taschenbuch erhältlich. Alle Informationen über Buch und Autor findet Ihr hier. Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in den Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

4 Gedanken zu “Joachim Meyerhoff | ALLE TOTEN FLIEGEN HOCH Teil 4: DIE ZWEISAMKEIT DER EINZELGÄNGER

  1. Ich fand ihn auch schwächer als vor allem Die Lücke… die liebe ich nämlich besonders. Meyerhoff liest im Januar in Berlin aus seinem neuen Romanmanuskript, es wird also wohl noch was kommen. Viele Grüße!

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