Raphaela Edelbauer | DAVE

A 2021 | 432 Seiten
Klett-Cotta
ISBN: 978-3-608-96473-8

Bevor die Pionierlebensform Archea Methanopyri den Kosmos mit ihrer ersten Empfindung aufschloss, hatte 10,2 Milliarden Jahre lang Stille im Universum geherrscht.

(Seite 5)

Irgendwann, in einer – gar nicht so – weit entfernten Zukunft, lebt ein kläglicher Rest der Menschheit in einem riesigen Forschungs- und Laborkomplex, einem völlig autarken Gebäudesystem ohne jeglichen Kontakt zur Außenwelt … das Teil hat noch nicht mal Fenster. Die Erde selbst ist schon lange nicht mehr bewohnbar: Überbevölkerung, Klimakatastrophen und Hungersnöte haben das Leben im Freien unmöglich gemacht. Es entspricht aber seit jeher der Natur des Menschen, Wege zu finden sich anzupassen, der Auslöschung zu entgehen und das Unvermeidliche ein weiteres Mal aufzuschieben. Und wenn es in der realen Welt keine Lösung mehr gibt, muss sie eben in der virtuellen Welt gefunden werden – und hier kommt DAVE ins Spiel…

DAVE ist eine Künstliche Intelligenz in progress. Unzählige Wissenschaftler tüfteln und programmieren seit Jahren an ihm herum, verbessern und optimieren nach dem neuesten Stand der Technik. Ziel des Ganzen ist es, ein digitales Erbe zu erschaffen, einen allwissenden virtuellen Geist, der bis ans Ende aller Zeiten fortbesteht und das menschliche Bewusstsein in die Ewigkeit führt. DAVE ist eigentlich auch schon einsatzbereit, steht kurz vor der Vollendung, aber an einer Sache beißen sich die Forscher die Zähne aus: das menschliche Empfinden fehlt. DAVE weiß alles und kann alles, er wird allem trotzen und nie sterben. Er kann auch Wut und Trauer und Freude imitieren, aber empfinden kann er sie nicht.

Um dieses Problem zu lösen, wird der junge Programmierer Syz auserwählt, ein kleines Licht aus den niederen Etagen. In hunderten Sitzungen soll er – an DAVE angeschlossen – Anekdoten aus seinem Leben erzählen, beschreiben, nachempfinden, auf dass DAVE lernt, was Fühlen heißt. Zunächst ist Syz voller Tatendrang und stolz darauf, einen so wichtigen Beitrag für das letzte Projekt der Menschheit leisten zu dürfen. Doch je mehr er sich mit seiner Vergangenheit, dem Mysterium DAVE – hinter dessen Kulissen er jetzt einen exklusiven Blick hat – und überhaupt seinem ganzen Umfeld, dem Gebäude und dessen Geheimnissen auseinandersetzt, desto mehr beschleicht ihn das ungute Gefühl, dass mit DAVE ein ganz anderes Ziel verfolgt wird. Als Syz erfährt, dass vor ihm schon ein anderer Kandidat in den emotionalen Entsafter gesteckt und seitdem nicht mehr gesehen wurde, beginnt er, das Projekt zu sabotieren. Doch die Menschheit lechzt geradezu dem Release entgegen – »Jetzt DAVE, jetzt DAVE, jetzt DAVE!!«


Eines vorweg: Raphaela Edelbauer hat mich vor gut zwei Jahren mit ihrem Debütroman DAS FLÜSSIGE LAND so richtig aus den Socken gehauen. Da stimmte einfach alles: ein Erzählton, der perfekt zu den Figuren und ihren Entwicklungen passt; ein komplexer Plot mit vielen Ebenen und noch mehr Interpretationsansätzen; und eine gute Portion hintersinniger Humor. Das alles ist bei DAVE auch vorhanden – der Roman ist meilenweit davon entfernt, in irgendeiner Weise misslungen oder gar schlecht zu sein –, dennoch fand ich von Beginn an nicht so recht in die Geschichte. Ich habe lange darüber nachgedacht, woran das liegen könnte und kam zum Schluss: Ich bin nicht nerdig genug.

Über Computer-Technik im Allgemeinen und Künstliche Intelligenz im Besonderen habe ich ein gesundes Halbwissen, mit dem ich … sagen wir mal … einigermaßen unbeschadet durch den Alltag komme. Ich weiß so ungefähr, worüber jemand redet, wenn er von Prozessoren und Quellcodes quasselt, und solange man mir keine Fragen stellt, ist alles in Butter. Bei der Lektüre dieses Buches kam ich allerdings äußerst schnell an meine Verständnisgrenzen und schon nach wenigen Kapiteln fuhr der DAVE-Express ohne mich weiter. Ich versuchte noch ein paar Mal auf den langsam vor sich hin ratternden Zug aufzuspringen, fand auch gelegentlich festen Halt und konnte durch die Fenster ins Innere schauen, wurde dann aber doch immer wieder abgeworfen.

Es lag nicht nicht an Edelbauers trockener Sprache oder dem manchmal doch sehr gehobenen Vokabular, bei dem ich öfter als es mir Spaß gemacht hätte im Fremdwörterbuch blättern musste. Es lag auch nicht am verwinkelten Plot und den skurrilen Einfällen, die mich oft an alte SciFi-Kino-Klassiker wie THX 1138 erinnerten. Es lag wohl schlicht und einfach daran, dass ich nicht zur Zielgruppe dieses Romans gehöre. DAVE ist etwas für Nerds, für Leute, die den Großteil ihres Leben in Netzwerken verbringen und auf Monitore starren. Das ist alles legitim, aber ich gehöre einfach nicht dazu. So richtig klar wurde mir das, als Edelbauer eine der zahlreichen Entwicklungen ihres Romans mit Hilfe von fehlprogrammierten Pokémons erklärte. Pokémons? POKÉMONS??? Diese bunten Viecher mit den beknackten Namen, die sich nur Achtjährige merken können? Diese Pseudo-Spielewelt, die nur dazu da ist, Milliarden von Dollar mit billigen Merchandise-Artikeln zu verdienen? Plötzlich wusste ich: Ich muss das alles gar nicht verstehen – Es ist für mich nicht relevant – Ich gehöre nicht zur Zielgruppe! Raphaela Edelbauer hat dieses Buch sicher nicht für die breite Masse geschrieben, sondern für einen kleinen auserwählten Kreis von Lesern und Leserinnen.

Diese Erkenntnis war für mich eine große Erlösung, denn jetzt kann ich von ganzen Herzen – und nicht ohne Respekt – sagen: DAVE ist bestimmt ein tolles Buch für Leute, die das interessiert.


DAVE erschien beim Verlag Klett-Cotta, dem ich herzlich für das Rezensionsexemplar danke. Mit einem Klick auf Coverbild gelangt Ihr zur Verlagsseite, wo Ihr Informationen über Buch und Autorin, sowie eine Leseprobe findet.

Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

6 Gedanken zu “Raphaela Edelbauer | DAVE

  1. Ich fürchte, ich bin nerdig genug. 😉 „DAVE“ klingt nach ein bisschen Endzeit mit einem Hauch von Douglas Adams´ „Deep Thought“, insofern kommt das mal auf meine Liste. Vielen Dank.

    Übrigens gibts ein Sonderlob für „den emotionalen Entsafter“. 🙂

    Gefällt 2 Personen

  2. Den emotionalen Entsafter, möchte ich auch hoch loben. Ich glaube aber es liegt weniger an deiner „zuwenignerdigkeit“, sondern daran, dass da wirklich so viele Minithemen aufgerissen wurden, die für sich genommen alle sehr unterhaltsam und interessant sind, in dieser Häufung und Komplexität aber zu laaaaangaaaaatmigen Lesen führten. R. Edelbauer begann auf einer wunderbaren französischen Autobahn und begab sich dann in die verschiedensten Richtungen in Fizionalsträßchen, Gebirgspfade und wüste Latschwege und mäanderte durch ihren Roman was zusätzlich zur Nerdnessnes einfach zu viel wurde. Gut fand ich ihn dennoch, es war aber eines jener Bücher, bei denen Mensch erfreut ist, wenn sie ein Ende finden 😉

    Gefällt 1 Person

      • Ich war aber auch froh es gelesen zu haben, denn es beleuchtet die Thematik aus einem Blickwinkel, über den ich mir so noch nie Gedanken gemacht hatte und das wirklich ausgezeichnet. Es hat auch einen schönen Regalplatz bekommen. 😀

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