Peter Wawerzinek | LIEBESTÖLPEL

D 2019 | 302 Seiten
Galiani Berlin
ISBN: 978-3-86971-152-2

Zuerst sind da nur zwei schwarze Zöpfe. (Seite 9)

Ein Autor, den ich immer mit meiner Heimatstadt Rostock verbinden werde, ist Peter Wawerzinek, der 1954 hier geboren wurde. Literarisch ist er seit der Wende aktiv, flog zwanzig Jahre lang aber eher unter dem Radar, bis ihm 2010 mit RABENLIEBE der Durchbruch gelang. Ein Auszug aus diesem großartigen autobiografischen Roman brachte ihm in Klagenfurt den Ingeborg-Bachmann-Preis ein, später landete er mit ihm auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises – ein Erfolgsgeschichte.

Sein neuester Roman LIEBESTÖLPEL schließt nach RABENLIEBE und SCHLUCKSPECHT die – ich nenne sie mal – Vogel-Trilogie ab, in der sich der Autor intensiv an seinem Leben abarbeitet. Diesmal ist die immer wieder neu aufkeimende Liebe zu Lucretia der Motor, der den Ich-Erzähler Petkowitsch – Wawerzineks Alter Ego – am Laufen hält. Seit den Kindertagen sind die beiden miteinander verbunden und über all die Jahrzehnte, bis zum bitteren Ende, bleiben sie es, allerdings mit einigen Unterbrechungen. Es ist ein Auf und Ab mit dem ungleichen Paar, eine anstrengende, kräftezehrende Beziehung, der sogar ein Kind entspringt. Was Petkowitsch und Lucretia eint, sind ihre Rastlosigkeit, ihr ewiges Suchen nach Halt im Leben und das gemeinsame Schicksal, im Kinderheim aufgewachsen zu sein.


Was Wawerzinek so unverwechselbar macht – ich behaupte ja, ihn aus hundert Texten heraus zu erkennen –, ist seine virtuose Sprachmacht. Auf den ersten Blick wirken seine Sätze spielerisch und leicht, doch schaut man genau hin, erkennt man eine tiefe Melancholie und Sehnsucht. Dieser Mann hat etwas, das viele Autoren und Autorinnen lange – und manchmal auch vergeblich – suchen: Einen eigenen Sound.

Auffällig in LIEBESTÖLPEL ist die Entwicklung dieses Sounds; je nach Petkowitschs Alter und Erfahrung verändert sich auch die Sprache. In den ersten Kapiteln sind Märchen und Kinderreime in die Sätze eingeflochten und die Welt ist ein großes Mysterium voller Rätsel und Abenteuer. Später dann wird Petkowitsch von einem älteren Herrn aufgenommen, der für die Dinge eigene Wörter erfindet, die der Junge in sein Vokabular übernimmt. Und schließlich – erwachsen, reif und gebildet – ist die Sprache poetisch und sinnlich, ohne je ihren Witz zu verlieren. Ein Entwicklungsroman in allen Belangen also, den ich jedem wärmstens ans Herz legen möchte.

Wawerzinek_lesungSehr empfehlen kann ich auch, eine Wawerzinek-Lesung zu besuchen. Der Autor ist mit seinem Buch gerade auf Lesetour, die Ende September in Rostock begann, was ich mir natürlich nicht entgehen ließ. Seine Vortragsweise – mal flüsternd, mal schreiend, mal ruhig und nachdenklich, mal springend und wild gestikulierend – ist wunderbar unterhaltsam und gibt dem Text noch eine weitere, wichtige Ebene dazu: Wer Wawerzinek einmal so hat lesen hören, wird diese Stimme nicht mehr los und liest den Rest des Buches in genau dieser Art weiter. Ein großer Gewinn! (Ende November erscheint ein Live-Mitschnitt als Hörbuch-CD. Bin zwar kein großer Fan dieses Mediums, werde aber auf jeden Fall mal reinhören.)


9783869711522LIEBESTÖLPEL erschien bei Galiani-Verlag. Alle Informationen über Buch und Autor, sowie eine Leseprobe findet Ihr hier. Eine kleine Bitte noch: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

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