USA 1969 | 390 Seiten
OT: »A Special Providence«
Deutsche Verlags-Anstalt
ISBN: 978-3-421-04331-3
Samstags, nach der Inspektion und nachdem in der Schreibstube Urlaubsscheine ausgegeben worden waren, brach in Camp Pickett, Virginia, eine Stampede aus. Man konnte nach Lynchburg oder Richmond oder Washington, D.C., fahren, und so man willens war, neun Stunden Fahrt auf sich zu nehmen – fünf Stunden mit dem Bus und vier mit dem Zug –, schaffte man es bis New York. (Seite 9)
INHALT: Erzählt wird das Leben der erfolglosen Künstlerin Alice Prentice und ihres Sohnes Robert in den 1930er und 40er Jahren. Während Alice ihrem Lebensziel hinterher hetzt, mit ihrer Kunst – Plastiken und Skulpturen aus Ton und Stein – Geld zu verdienen und unabhängig zu sein, sucht Robert lange nach seiner Bestimmung, ohne sie wirklich je zu finden. Alice, mit ihrem an Verblendung grenzenden Optimismus, flieht aus einer Ehe mit einem bodenständigen Mann, wohnt an verschiedensten Orten, immer am Rande des Bankrotts und eines Nervenzusammenbruchs, ohne je ihr Ziel aufzugeben.
In dieser scheinheiligen Welt wird Robert hin- und hergeweht und wächst ohne Freunde zu einem jungen Mann heran. Sobald sich die Gelegenheit ergibt, versucht er sein Glück beim Militär, das ihn nach einer kurzen Grundausbildung auf Schlachtfelder des Zweiten Weltkrieges führt. Doch auch hier bleibt er ein Sonderling, wird nicht ernst genommen, erlangt keinerlei Befriedigung und auch die Chancen auf militärische Heldentaten bleiben ihm verwehrt.
Nein. Er meinte nicht, dass er etwas bewiesen hatte. Es endete so wie alles, […], wie der Krieg selbst: keine beglichenen Rechnungen, keine Lösungen, keine Beweise. (Seite 366)
FORM: Yates Sprache ist elegant und stilsicher. Die Figuren sind sehr gut beschrieben; nicht nur Alice und Robert, auch die Nebenfiguren bekommen mit wenigen aber gezielten Pinselstrichen eine glaubwürdige Tiefe. Man kann davon ausgehen, dass sich Yates für diesen Roman aus seiner eigenen Biografie bedient hat, so sind sowohl die Kriegsszenen von der Westfront sehr eindrücklich, als auch die Beschreibungen der Soldaten und ihren Befindlichkeiten: Es geht den meisten natürlich nicht darum, ihrem Land zu dienen und Ehre zu erlangen, sondern in einer Uniform möglichst wie ein Filmstar auszusehen. Hut ab für diesen ehrlichen Anti-Pathos; Hollywood sollte sich davon mal eine Scheibe abschneiden.
FAZIT: Richard Yates war einer dieser Schriftsteller, die die Möglichkeit besitzen, den Leser an die Hand zu nehmen und durch ihre Welt zu führen. Zugegeben: Yates‘ Welt ist meist eine traurige, ein düsterer Blick auf die Wünsche eines Menschen und ihr Scheitern. Dieses Wechselspiel, das Begehren und das Bekommen, völlig wertfrei und sehr realistisch, gepaart mit dem wunderbaren Schreibstil, macht jeden seiner Romane zu etwas ganz Besonderem. Fünf Sterne.