Percival Everett | DIE BÄUME

USA 2021 | 368 Seiten
OT: »The Trees«
Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl
Hanser Verlag
ISBN: 978-3-446-27625-3

Money, Mississippi, sieht genau so aus, wie es sich anhört.

(Seite 11)

Im August 1955 wurde der Afroamerikaner Emmett Till im zarten Alter von nur 14 Jahren auf bestialische Weise Opfer eines rassistisch motivierten Falles von Lynchjustiz. Eine weiße Frau hatte behauptet, der Junge hätte etwas Anzügliches zu ihr gesagt, woraufhin ihr Mann und ihr Bruder den Jungen verprügelten, erschossen, Stacheldraht um seinen Hals legten und ihn in einen Fluss warfen. Die beiden Männer wurden zwar angeklagt, nach einem kurzen Prozess jedoch von den – ausschließlich weißen – Geschworenen freigesprochen. Die landesweiten Proteste der schwarzen Bevölkerung, die dem Freispruch folgten, gelten in der amerikanischen Geschichte – neben dem Busboykott von Alabama im selben Jahr – als der Beginn der schwarzen Bürgerrechtsbewegung. Einen solchen Fall als Basis für einen schwarzhumorigen Thriller zu nutzen, ist ein heikles Unterfangen, doch Percival Everetts Roman DIE BÄUME ist weitaus mehr als nur spannende Unterhaltung und auf den zweiten Blick alles andere als lustig.

DIE BÄUME spielt 2018 in der Kleinstadt Money im US-Bundesstaat Mississippi, dem Ort, in dem Emmett Till vor über sechzig Jahren sein Leben verlor. Ein grausamer Doppelmord und seine Folgen stellt den hinterwäldlerischen Sheriff Jetty vor jede Menge Rätsel: Ein Weißer und ein Schwarzer werden tot aufgefunden, beide mit Wunden übersät, die denen Tills ähneln. Nach der Beweisaufnahme und dem Abtransport der Leichen verschwindet jedoch die des Schwarzen und taucht in gleicher Pose bei einem zweiten Mord an einem weiteren Weißen auf. Auch hier sind Parallelen zum Verbrechen an Emmett Till zu erkennen und ebenso verschwindet auch der Leichnam des Schwarzen wieder spurlos. Das bringt zunächst zwei Detectives aus der Staatshauptstadt, und später dann, als es noch mehr Morde gibt, auch eine Agentin des FBI auf den Plan, die in der Kleinstadt überall herumschnüffeln. Das gefällt weder dem Sheriff noch den Bewohnern von Money, Mississippi, denn die drei Auswärtigen sind Afroamerikaner, noch dazu ausgestattet mit Autorität und Macht – und solche Leute sind im südlichen Hinterland, wo Donald Trump wie ein Heiliger verehrt wird, nicht gern gesehen.


Percival Everett arbeitet sich in seinem Romanen seit Jahrzehnten am Thema des – besonders in den Südstaaten ganz offen gelebten – Rassismus in den USA ab. Doch anders als die meisten seiner Zunft nutzt er die Macht des Humors, der Satire und der Groteske, um seiner Botschaft Nachdruck zu verleihen. Sicher kann man bei DIE BÄUME wegen der grandiosen Darstellungen der tumben Rednecks und der von Sarkasmus nur so triefenden Dialoge viel lachen, dennoch verfehlt Everetts Fingerzeig auf keiner Seite das Ziel. Man spürt beim Lesen fast seinen eisigen Blick im Nacken, der besagt: »Lacht nur, ich aber meine es ernst!« Künstlerisch lassen sich damit Parallelen zum Hollywood-Regisseur Jordan Peele ziehen, der sich in Filmen wie GET OUT oder US dem Rassismus-Thema mittels des Horrorgenres nähert.

Auch DIE BÄUME gerät zum Ende hin ins Horrorähnliche und Übernatürliche. Percival Everett lässt die mysteriöse Mordserie sich ausweiten wie eine Grippewelle, bis sie auch die letzten Ecken der Vereinigten Staaten und sogar das Weiße Haus erreicht (an dieser Stelle des Buches gibt es eine perfekt gelungene Parodie auf den damaligen Präsidenten). Die Ursache für all die Toten – und somit gleichzeitig Auflösung und Clou des Buches – spart sich Everett bis zum letzten Kapitel, ja bis zum letzten Satz auf, ein Ende, das es wahrlich in sich hat.

Wie alle anderen Bücher des Autors ist auch dieses hier ein absolutes Leseereignis. Niemand schreibt derzeit so scharfzüngig, bitterböse und todernst wie Percival Everett.


DIE BÄUME erschien in der Übersetzung von Nikolaus Stingl beim Hanser Verlag, dem ich herzlichst für das Rezensionsexemplar danke. Mit einem Klick auf Coverbild gelangt Ihr zur Verlagsseite, wo Ihr Informationen über Buch und Autorin findet.

Diese Rezension erscheint im März auch in der Zeitschrift LESART Ausgabe 1/2023.

Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

2 Gedanken zu “Percival Everett | DIE BÄUME

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