Katharina Winkler | BLAUSCHMUCK

A 2016 | 199 Seiten
Suhrkamp Verlag
ISBN: 978-3-518-42510-7

Wir Kinder sind eine Herde.
Das Heu ist unser Bett. Geruch von geschnittenem Sommer. Wir liegen quer und übereinander. Wer weiß schon, wem dieser Fuß oder jene Hand gehört. (Seite 9)

INHALT: Die Kurdin Filiz ist dreizehn, als der nur wenig ältere Yunus sie sich aussucht wie ein Toastbrot im Supermarkt. »Du gehörst mir«, sagt er und sperrt sie weg. Wenig später die Hochzeit und der Umzug in Yunus‘ Haus, wo Filiz wie eine Sklavin gehalten wird, von der Schwiegermutter gehasst und erniedrigt, vom Mann brutal misshandelt. Schläge und Vergewaltigung stehen an der Tagesordnung, ein jahrelanges Martyrium. Der Ehe entspringen drei Kinder, keines der drei wird geliebt. Schon im Mutterleib wird auf sie eingedroschen, auch von Filiz, die den Kindern das Leben erparen will.

Später dann die Ausreise nach Österreich, wo Yunus mit dubiosen Geschäften viel Geld verdient. Aber auch der goldene Westen, das Land der Jeans und Turnschuhe, bringt keine Freiheit. Wenn Yunus weg ist, oft wochenlang, sperrt er Filiz und die Kinder ein. Das ist die Zeit des Hungers und der Einsamkeit, aber auch der Genesung – die geschundenen Knochen können heilen, die blauen Flecken, der titelgebende Blauschmuck kann vergehen. Und wenn Yunus wiederkommt, kann Filiz schon am Zuschlagen der Autotür erkennen, ob der Sturm sofort über sie hereinbricht oder ob er sie noch bis zur Nacht verschont.

FORM: Es klingt wie eine Geschichte aus dem Mittelalter, aber Leidenswege wie der Filiz‘ sind in manchen Gegenden der Welt keine Seltenheit. Der Satz, der den Roman so furchtbar eindringlich macht, steht gleich zu Beginn auf Seite 7:

Nach einer wahren Lebensgeschichte.

Katharina Winkler (*1979) hat mit BLAUSCHMUCK einer Frau eine Stimme gegeben, eine versteckte Geschichte an die Öffentlichkeit gezerrt, die gehört werden muss. Dafür kann man ihr nicht genug danken und ich wünsche diesem Buch auch weiterhin eine große Leserschaft. Ich bin mir sicher, dieses Buch wird die Jahre überdauern.

Winklers Sprache ist unfassbar poetisch, jeder Satz ein kleines Meisterstück. Die Szenen der Gewalt sind dabei nur schwer zu ertragen und durch die schöne Sprache umso intensiver. Aber anders als die Fitzeks dieser Welt, benutzt Winkler die Gewalt nicht, um ihre Leser zu schockieren oder irgendwelche Ekelgrenzen zu überschreiten – das wäre plumper Voyeurismus und hätte mit Literatur soviel zu tun wie McDonald’s mit Esskultur. Nein, sie braucht die Gewalt, um der Geschichte eine Ebene hinzuzufügen, etwas, das man aus dem Leben der Hauptfigur nicht mehr wegdenken kann. Das ist Winkler mit Bravour gelungen – kaum zu glauben, dass es sich hierbei um einen Debüt handelt.

FAZIT: Eine furchtbare Geschichte – ein großartiger Roman. Fünf Sterne.

Ganz ähnlich sahen es auch die Buchbloggerin, Marina Büttner von literaturleuchtet, Mara von Buzzaldrins.de und Muromez (um nur einige zu nennen, denn der Roman machte nach Erscheinen ordentlich Wind in der Bloggerwelt).

2 Gedanken zu “Katharina Winkler | BLAUSCHMUCK

  1. Es gab ja auch eine ganze Reihe von Besprechungen, die Katharina Winkler in ihrer deutlichen Beschreibung dieser ja tatsächlich mittelalterlich anmutenden Geschichte, zu viel Übertreibung zuschrieben, zu viel (regionale, religiöse) Einseitigkeit usw. Dabei ist ihr das Kunststück gelungen, eine Geschichte zu erzählen, die, ganz aus der Perspektive Filiz´ heraus geschrieben, kaum anklagt, dafür aber auch nach langer Zeit des Lesens immer noch so nachhallt, wie Du es in Deiner Besprechung geschildert hast. In der vor allem die sprachliche Gestaltung dafür sorgt, Szenen zu erinnern, auch noch nach über einem Jahr. Welchem Roman glückt das schon? Also wirklich „kaum zu glauben, dass es sich hierbei um ein Debüt handelt“.
    Viele Grüße, Claudia

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