A 2021 | 256 Seiten
Paul Zsolnay Verlag
ISBN: 978-3-552-07248-0
Ich habe geträumt, dass mich Ärzte aufschneiden, und sie finden Milz, Leber, Nieren, Herz, Lunge und legen alles auf einen Tisch in silberne Metallschalen.
(Seite 7)
Es gibt sie doch – natürlich gibt es sie und wir alle hassen sie –, diese geschniegelten Lackaffen, diese bis zur Kotzgrenze konservativen Porschefahrer, die ihre nicht mal dreißigjährigen, durchtrainierten Körper in Maßanzüge stecken und das traditionelle Gedankengut aus längst vergangenen Epochen mit drei Pfund Haargel schützen, damit die versifften Linken es nicht mit ihrem One-Love-Gequatsche beschmutzen. Der Ich-Erzähler aus Elias Hirschls Roman SALONFÄHIG ist so einer, und zwar einer von der ganz kaputten Sorte.
Er übt stundenlang das Lächeln im Spiegel, belohnt sich mit einem großen Stück Torte, immer wenn er einem Bettler mal ein paar Cents zuwirft, und ist stets bemüht, ganz besonders betroffen dreinzuschauen, wenn er an die vielen Opfer des letzten Terroranschlages in … Sonstwo denkt. Er ist Mitglied in einer rechtskonservativen Partei, die in Österreich laut aktueller Hochrechnungen den nächsten Kanzler stellt: Julius Varga – ebenso jung, ebenso schön und ebenso oldminded. (Die Parallelen zu Sebastian Kurz sind nicht zu übersehen.) Der Ich-Erzähler liebt Varga, er vergöttert ihn geradezu, er möchte sein wie er. Oder treffender: Er will Varga sein. Bei jeder Gelegenheit biedert er sich bei seinem Idol an, verfolgt dessen Wahlkampf auf Schritt und Tritt, um schließlich die ehrenvolle Aufgabe zu erhalten, in Vargas Privatwohnung die Zimmerpflanzen zu gießen, während der auf Tour ist. Näher wird er seinem Messias nicht kommen und soviel ist klar: Diese ihm auferlegte Prüfung muss gelingen. Doch die Pflanzen gehen ein und aus dem Fanboy-Stalking wird eine psychotische Obsession.
Himmel auch: Was habe ich gelacht, mich gegruselt und alle paar Seiten vor lauter Fremdscham zusammengerollt. SALONFÄHIG ist eine Groteske par excellence, wie es sie schon lange nicht mehr gab. Hirschl trifft mit seiner Erzählerfigur exakt die Art von karrieregeilem Politiker, der nach außen immer nur das sagt, was seinem weiteren Werdegang aktuell nützt, innerlich aber völlig emotionslos bleibt und dem außer dem nächsten Parteiposten nichts heilig ist – zumindest stellen wir unteren Zehntausend uns solche Elite-Schnösel ja immer vor. Manche Kapitel sind tatsächlich kaum zu ertragen. Wenn die Jugendgruppe der Partei zum Beispiel die Gedenkstätte des KZ Mauthausen besucht und immer kichernd einen Schnaps trinkt, wenn der Redner – ein jüdischer Zeitzeuge – das Wort Shoah sagt. Oder wenn der Erzähler mit Freunden darüber diskutiert, dass die heutigen Terroranschläge nicht mehr so ästhetisch seien wie früher – bei solchen Szenen rollen sich die Fußnägel hoch. Natürlich ist die Politik nicht so krass verdorben, wie hier geschildert – wie bei jedem anderem Thema auch, ist ein Alle-über-einen-Kamm-scheren realitätsfern –, aber es gibt sie ja, die ganzen Skandale um innerparteiliche Chatverläufe, die die volle Breite Antisemitismus und Sexismus offenbaren. Hirschl musste sich dafür gar nichts groß ausdenken, sondern nur ab und zu die Zeitung lesen.
Der ganze groteske und tiefschwarzhumorige Spaß dominiert die Lektüre deutlich, lenkt aber auch davon ab, wie vielschichtig der Text eigentlich geschrieben ist. Eine Technik, auf die Hirschl immer wieder zurückgreift, ist das Überlagern mehrerer Gedankengänge zur selben Zeit, die kaum etwas miteinander zu tun haben. Das Befolgen der Navigationsansagen während man ein charmantes Lächeln im Rückspiegel übt, zum Beispiel. Oder die vorgespielte Anteilnahme für die Opfer eines Anschlages während man die Location für das nächste Parteitreffen wählt. Manchmal werden die Ebenen so krass durchmischt, dass kaum noch etwas Brauchbares herauskommt, was ganz gut zum Ich-Erzähler passt. In der zweiten Hälfte gerät der Roman deutlich auf die Psycho-Thriller-Schiene – der Ich-Erzähler fällt dem Wahnsinn anheim, überzieht es mit den Drogen und hat gemeingefährliche Gedanken –, doch Hirschl sitzt fest im Sattel und weiß auch hier stilistisch zu überzeugen.
SALONFÄHIG ist ein makabrer, grotesker und an vielen Stellen überzogener Roman, mit dem man – zumindest mit genügend persönlichem Abstand zur Politik – großen Spaß haben kann. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich einige Leute nach der Veröffentlichung hart angegriffen gefühlt haben, aber das macht den Roman nur noch wichtiger.
Große Leseempfehlung!
SALONFÄHIG erschien im Paul Zsolnay Verlag. Mit einem Klick aufs Coverbild gelangt Ihr zur Verlagsseite, wo Ihr Informationen über Buch und Autor, sowie eine Leseprobe findet.
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