Nicole Flattery | NICHTS BESONDERES

USA 2023 | 272 Seiten
OT: »Nothing Special«
Aus dem Englischen von Tanja Handels
Hanser Verlag
ISBN: 978-3-446-27728-1

Meine Mutter besaß ein Buch, aus dem sie mir gerne vorlas, als ich klein war.

(Seite 9)

Einer der einflussreichsten amerikanischen Künstler der Nachkriegszeit war ohne Zweifel Andy Warhol. Sein umfangreiches Werk in den Bereichen Grafik, Malerei und Film war ikonisch und stilprägend. Aber auch in Musik und Literatur trieb sich Warhol herum. Sein einziger Roman »A« erschien 1968 und umfasste Gespräche aus zwei Jahren mit seinem Freund Robert Olivo. Interessant aus heutiger Sicht ist dabei weniger der Inhalt der Dialoge, sondern eher die Entstehung des Buches – und hier setzt Nicole Flattery mit ihrem Roman NICHTS BESONDERES ein.

Die langen Gespräche zwischen Warhol und Olivo wurden damals in vielen Sitzungen auf Band aufgenommen. Anschließend beauftragte Warhol junge Frauen mit Erfahrung an der Schreibmaschine, die die unzähligen Aufnahmen transkribierten und sauber zu Papier brachten. Eine elendige Arbeit, denn die Gespräche fanden zum größten Teil unter schwerem Drogenkonsum statt – das titelgebende A des Romans steht für Amphetamin – waren kaum verständlich und kreisten irgendwo zwischen Delirium und Sinnfreiheit. Belohnt wurden die Ghostwriterinnen auch nicht, denn weder gab es gute Honorare, noch wurden sie im Impressum erwähnt. Die Damen arbeiteten für etwas Höheres, für den Kunstgott himself – das musste reichen.

In NICHTS BESONDERES lernen wir die siebzehnjährige Mae kennen, die den Job für Warhol in der Hoffnung annimmt, den Fuß in die New Yorker Upper Class zu bekommen. Doch außer unzähligen Stunden als Tippse unterm Kopfhörer wird ihr nichts gegeben. Sie bleibt Mittel zum Zweck, eine billige Arbeitskraft ohne Chance auf Entwicklung. Auch Warhol selbst nimmt kaum Notiz von ihr, schwebt nur auf fast übernatürliche Art durch das Studio und kümmert sich um seine nächsten Projekte. In Maes Kollegin Shelley findet sie jedoch eine Freundin, der sie sich öffnen kann, und sie findet auch einen Weg, auf sich aufmerksam zu machen.


Das Besondere an Nicole Flatterys Debütroman ist, dass sie den Fokus vom übermächtigen Künstler Andy Warhol auf die nur scheinbar unbedeutenden Helferinnen lenkt, die für ihn die Arbeit machen. Das tut sie mit einiger Konsequenz: Der Name Warhol taucht kaum auf, er wird nur wie ein geisterhaftes Wesen beschrieben, um das ein riesengroßes Tamtam gemacht wird. Selbst das Studio, das als The Factory in die Kunstgeschichte einging, bleibt unbeschrieben und farblos. Ganz anders dagegen der Blick auf Mae und ihre Geschichte, die von familiären Tragödien und Hoffnungslosigkeit geprägt ist.

Leider läuft dieses Konzept auf Kosten der Relevanz. Ist diese Geschichte wirklich so erzählenswert? Natürlich ist Warhol die interessantere Figur und seine ganzen Skandale und Projekte am Rande des guten Geschmacks und oft darüber hinaus sind jede noch so kleine Anekdote wert. Davon wird hier aber in keiner Weise berichtet, es geht fast ausschließlich um Mae und ihre dröge Arbeit, und die ist alles andere als interessant oder spannend. Wir erfahren ja nicht mal etwas Handfestes von den Aufnahmen, die Mae abtippt. Flatterys Schwenk auf die kleinen Lichter hinter der gleißenden Sonne war eine gute Idee, die auch schriftstellerisch sauber umgesetzt wurde – für einen aufregenden Blick hinter die Türen der Factory ist das aber zu wenig. Hier wurde viel Potential ungenutzt gelassen, schade.


NICHTS BESONDERES erschien im Hanser Verlag, dem ich herzlichst für das Rezensionsexemplar danke. Mit einem Klick auf das Coverbild gelangt Ihr zur Verlagsseite, wo Ihr Informationen über Buch und Autorin, sowie eine Leseprobe findet.

Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

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