Ann Cotten | LYOPHILIA

A 2019 | 463 Seiten
Suhrkamp
ISBN: 978-3-518-42869-6

Die Sprache der Außerirdischen Intelligenz, wie wir sie nennen würden, ist voll von Wortspielen, wie wir sie nennen würden. (Seite 7)

Wer schon immer mal wissen wollte, wie es sich auf dem Asteroiden Amore (KAFUN) lebt, auf dem Gefriertrocknung und Zeitreisen auf der Tagesordnung stehen, oder wie es sich anfühlt, wenn man aus der gewohnten Umgebung in ein Paralleluniversum geschleudert wird, in dem alle Gedanken sofort Realität werden, der lese das neue Buch LYOPHILIA von Ann Cotten. In dreizehn Kurzgeschichten – von denen zwei mit jeweils um die zweihundert Seiten eher Romanausmaße annehmen – führt die amerikanisch-österreichische Ausnahmeautorin durch ihre verqueren Gedankenexperimente, dass einem der Kopf platzt. Leider vergisst sie dabei, uns zu dieser Reise auch abzuholen und mitzunehmen. So stehen wir Lesernnnie¹ nach der Lektüre leer und völlig überfordert da, die vierhundertsechzig Seiten Kunst noch in den schwitzigen Händen, und fragen uns: »Was zum Geier war das denn eben?«
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(¹ Beim »polnischen Gendering« werden alle für alle Geschlechter nötigen Buchstaben in beliebiger Reihenfolge ans Wortende gestellt; eine der vielen Spielereien in LYOPHILIA.)

Cotten macht es uns wirklich nicht einfach. Ich für meinen Teil brauchte jeden Tag aufs Neue sechs, acht, zehn Seiten, um wieder in den gewohnten Lesefluss zu kommen, um den Geschichten überhaupt einigermaßen folgen zu können, was mich an die ähnlich sperrigen Bücher von Dietmar Dath erinnerte. Einige Unterbrechungen nicht mitgerechnet, brauchte ich schlussendlich fast vier Wochen netto für die Lektüre, was selbst für meine Verhältnisse furchtbar lahm ist. Zu Anfang habe ich mir bei den langen Texten PROTEUS und ANEKDOTEN VON AMORE (KAFUN) noch Notizen gemacht, die aber, wie ich schnell merkte, im Nachgang sämtlichst unbrauchbar waren – ich weiß noch nicht mal mehr, was KAFUN überhaupt bedeutet. Die Szenen springen und hangeln sich so schnell und unvorhersehbar durch die Seiten, dass ich oft große Mühe hatte, am Ball zu bleiben. Hinzu kommen die stilistischen Besonderheiten, zum Beispiel die zahlreichen Amerikanismen – messy, tricky, wobbly –, das oben bereits erwähnte polnische Gendering oder der mir bis dato unbekannte Halbplural.

(Nur kurz zur Erklärung: Eine der Figuren auf Amore (KAFUN), Emile, ist männlich und definitiv eine Einzelperson … auch wenn er mehrere Köpfe und sechs bis acht Beine hat. Trotzdem lebt und handelt er im Plural, er ist also nicht männlich, er sind es. Emile kommen leider ständig im Text vor – schließlich sind er eine Hauptperson – und stören den Flow dermaßen, dass sich dier Leserni kaum auf die Handlung konzentrieren kann, und sich irgendwann unweigerlich wie eien Idiotni vorkommen muss!)

Vielleicht ist genau das Cottens Mission: Verwirrung stiften ohne Rücksicht auf Verluste. Dabei macht sie ihre Sache im Grunde genommen gar nicht schlecht. So schräg das auch alles wirken mag, das Buch strotzt nur so von klugen Sätzen, vielschichtigen Charakteren und innovativer Prosa – mit dem Gesamtpaket aber ist kaum noch etwas anzufangen … zumindest für Normallesernnnie. Wie eine dieser Suppen aus Fernost mit dutzenden Gewürzen: jedes einzelne ist ein Gaumentraum, eine ganze Schüssel voll davon allerdings ungenießbar. Kleine Kostprobe gefällig? Hier ein Ausschnitt aus den PUTZTRUPPWEISHEITEN (Seiten 240 ff.):

Ob das nun hochphilosophische Post-Postmoderne und Ann Cotten ihrer Zeit weit voraus ist, oder ob es sich einfach nur um prätentiöses Geschreibsel handelt, kann ich unmöglich beurteilen, dazu fehlen mir offen gestanden ein paar Gehirnwindungen. Wer sich diesbezüglich testen lassen will, möge hier zugreifen.


42869LYOPHILIA ist im Suhrkamp Verlag erschienen, dem ich für das Rezensionsexemplar herzlichst danke. Alle weiteren Informationen über Buch und Autorin sowie eine Leseprobe findet Ihr auf der Verlagsseite. Das oben eingebettete Video stammt von zehnseiten.de. Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

4 Gedanken zu “Ann Cotten | LYOPHILIA

  1. *GGG* Ich habe ja schon bei Dath widerwillig aber erleichtert aufgegeben, heir fällt das Nichtbeginnen sehr leicht. Danke für die Information

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  2. […] Doch worum geht es? Vielleicht zunächst die grundlegenden Elemente der Handlung: Mutter Johanna ist verschwunden und hinterlässt eine Schar Kinder, die in dem zu einem riesengroßen Slum verkommenen Europa nach ihr sucht. So weit, so gut. Aber worum geht es wirklich? Was ist die Message? Tjaaa … ääähmmm … keine Ahnung. Ehrlich gesagt, fällt es mir schon furchtbar schwer, den Text auf eine schnöde Inhaltsangabe runterzubrechen; die Unmengen an bunt durcheinandergwürfelter Einzelszenen macht jeden Versuch zunichte. (Hatte ich dieses Gefühl nicht gerade kürzlich bei Ann Cotten?) […]

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