Adam Johnson | DAS GERAUBTE LEBEN DES WAISEN JUN DO

USA 2012 | 685 Seiten

INHALT: Der junge Jun Do (btw: das Pendant zum amerikanischen John Doe, einem Menschen ohne Identität) wächst in einem Waisenhaus in Nordkorea auf und wird von der Regierung zum Spitzel ausgebildet. Im Japanischen Meer soll er feindliche Funksprüche auffangen. Eine Aufgabe, die er mit Bravour meistert, sodass er auf der Karriereleiter aufsteigt und an einem Staatsbesuch in Texas teilnehmen darf. Dieser scheitert in den Augen der Obrigkeit allerdings und Jun Do wird ohne Gerichtsverfahren in ein Arbeitslager deportiert. Nach vielen Monaten unter unmenschlichen Bedingungen gelingt ihm die Flucht indem er den tyrannischen Lagerkommandanten Ga erschlägt und seine Identität annimmt, denn (und das ist der große Aufhänger dieses Romans) in Nordkorea zählt nicht das Individuum selbst, sondern nur seine Geschichte. Do als Ga hat nun viel Macht und große Nähe zum Geliebten Führer Kim Jong Il und kann für sich und seine neu gewonnene Familie die Flucht nach Amerika planen. Doch auch dies gelingt nicht und er muss sich einem langwierigen Verhör stellen, das einer Gehirnwäsche gleicht.

FORM: Der Roman ist in zwei Teile geteilt. Zum einen die Lebensgeschichte von Jun Do, die gradlinig und ruhig erzählt wird. Zum anderen die des Kommandanten Ga ab dem Indentitätswechsel. Ab hier wird zwischen den Zeiten und Perspektiven hin und her gesprungen, sodass die eigentliche Geschichte kapitelweise mehr und mehr entblättert wird.

Johnsons Schreibstil ist vielseitig. Die Szenen auf dem Meer sind poetisch und warm, die beim Verhör nüchtern und kratzig. Manche Beschreibungen aus dem Arbeitslager werde ich mein Lebtag nicht mehr vergessen, so grausam wird das Elend beschrieben. Alle paar Kapitel wird eine Propagandasendung aus dem Volksempfänger eingestreut, mit der die Bevölkerung rund um die Uhr berieselt wird. Dort wird die „offizielle“ Version des gerade Gelesenen verkündet, natürlich schamlos korrigiert. Mit diesem Kniff wird das perfide System Nordkoreas besonders deutlich.

FAZIT: DAS GERAUBTE LEBEN DES WAISEN JUN DO liefert nicht nur einen spannenden Thriller (obwohl das Genre „Thriller“ nicht so richtig passen will), sondern gibt auch einen erschreckenden Einblick in eines der krassesten politischen Systeme unserer Zeit. Ich hoffe sehr, dass das nordkoreanische Volk irgendwann den Weg in die Freiheit findet. Diesen großartigen Roman wird in Nordkorea wohl niemand jemals lesen, für uns Außenstehende ist er als Augenöffner jedoch immens wichtig. Ein beindruckendes Buch – fünf Sterne!

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