Percival Everett | JAMES

USA 2024 | 336 Seiten | 26 Euro
OT: »James«
Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl
Hanser Verlag
ISBN: 978-3-446-27948-3

Die kleinen Halunken versteckten sich drüben im hohen im Gras.

(Seite 11)

Seit ein paar Jahren feiere ich die Romane von Percival Everett hart ab. Ich finde, es gibt in der amerikanischen Literatur derzeit niemanden, der so wandlungsfähig ist, wie dieser Autor. Ob in tiefbewegenden Familiendramen – ERSCHÜTTERUNG – oder makaber-witzigen Anti-Rassismuskrimis – DIE BÄUME –, Everett liefert jedesmal kleine Meisterwerke ab. Nun ist mit JAMES sein neuer Roman erschienen, in dem er sich einem der größten Klassiker der amerikanischen Literatur widmet: DIE ABENTEUER DES HUCKLEBERRY FINN.

Everett erzählt in JAMES die Geschichte des Sklaven Jim, jenes Mannes, der mit Huckleberry einst aus einem kleinen Kaff in Missouri türmte und auf einem Floß den Mississippi hinabfuhr. Dabei folgt Everett in den gemeinsamen Szenen mit Huck und Jim dem Verlauf des Originals, erweitert die Geschichte aber in den Teilen, in denen die beiden getrennt sind. Außerdem verlagert er die Erzählperspektive vom Jungen auf den Mann und öffnet damit einen Themenbereich, der bei Mark Twain nur nebenbei abgehandelt wurde: Der Rassismus und die Sklaverei in den USA kurz vor dem Bürgerkrieg.

»Was hast du verbrochen?«, fragte Norman.
»Was ich verbrochen habe? Ich bin ein Sklave, Norman. Ich habe eingeatmet, als ich hätte ausatmen sollen. Was ich verbrochen habe?«

(Seite 234)

Doch damit nicht genug. Jim bekommt erstmals eine eigene Stimme, und zwar nicht die, die man vom Original kennt – jenes vermeintlich ungebildete Kauderwelsch aus verschiedenen Dialekten –, sondern eine glasklare, meinungsstarke und die Gesellschaft und Politik referenzierende Stimme. Nur Weißen gegenüber benutzt er den Dialekt, damit diese ihn nicht für schlau und somit gefährlich halten; im Amerika jener Zeit konnte das schon zum Tode führen. Im Dialog mit den Menschen, die das Schicksal als Sklave teilen, redet er ganz normal – und seine Verbündeten auch. Der Dialekt ist also flächendeckend eine schützende Lüge, um sich dümmer zu stellen als man ist.


Der Rassismus ist Everetts Dauerthema, dem er sich während seiner Karriere schon auf unterschiedlichste Weise genähert hat. Nun also mittels einer Art Parallel-Roman, wie es Sandra Newman im letzten Jahr bei JULIA getan hat, mit dem sie das 1984-Universum um die fehlende weibliche Ebene ergänzte. Auch Everett führt die Geschichte seines Helden weiter. Wo bei Twain einst Schluss war, dürfen wir Jim – der sich selbst den Namen James gibt – noch weiter folgen, denn da gibt es noch viel zu beenden. Somit bekommt James nicht nur eine eigene Stimme, sondern auch noch seine Gerechtigkeit. Besonders auf den letzten hundert Seiten wandelt sich die Erzählung von einer jugendlichen Abenteuerfahrt hin zu einem ernsten Plädoyer für Menschlichkeit in unmenschlichen Zeiten. Das ist hart zu lesen, umso intensiver aber in der Aussage.

Percival Everett unterstreicht mit JAMES einmal mehr seinen Stand als einer der wichtigsten Schreibenden seines Landes. Im April wird der Pulitzer Prize for Fiction verliehen und ich denke, dieser Roman hat das Potential für diese renommierte Auszeichnung. Ganz große Leseempfehlung.


JAMES erschien im Hanser Verlag, dem ich herzlichst für das Rezensionsexemplar danke. Mit einem Klick auf das Coverbild gelangt Ihr zur Verlagsseite, wo Ihr Informationen über Buch und Autor, sowie eine Leseprobe findet.

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