Tonio Schachinger | NICHT WIE IHR

A 2019 | 304 Seiten
Kremayr & Scheriau
ISBN: 978-3-218-01153-2

Wer keinen Bugatti hat, kann sich gar nicht vorstellen, wie angenehm Ivo gerade sitzt. (Seite 5)

Ivica »Ivo« Trifunović hat mit Mitte zwanzig alles, was sich viele junge Männer zu wünschen meinen. Er verdient als Top-Stürmer Millionen bei einem englischen Fußballverein, fährt äußerst noble Autos und ist mit der wunderschönen Jessy verheiratet, die ihm jeden Wunsch von den Lippen abliest. Dass dies alles für ein glückliches und erfülltes Leben irrelevant ist, merkt Ivo aber erst jetzt, fast am Ende seiner Karriere. Seine einst bejubelten Fähigkeiten auf dem Spielfeld lassen nach, für seine einstige Jugendliebe Mirna setzt er sein Eheglück aufs Spiel, und dann ist da noch dieser unglaubliche Druck, permanent in der Öffentlichkeit zu stehen und bewertet zu werden.

Ivo ist ein impulsiver Typ, der selten etwas plant und sich erst etwas nimmt, wenn er es braucht. Allerdings ist er nach all den Jahren in Saus und Braus daran gewöhnt, dass er auch bekommt, was er will, sonst ist recht schnell Schluss mit der Geduld. Zusätzlich zu seinem Jähzorn kommt eine gewisse Einfältigkeit; Ivo ist nicht besonders tiefsinnig, was vielleicht auch eine Folge seines Alltags ist, in dem nur der Körper trainiert wird, nie aber der Geist. Dementsprechend stolpert Ivo bei seinen derzeitigen Problemen nach und nach in ein tiefes Loch. Seine Pechsträhne auf dem Rasen kann er sich nicht erklären und vom Gefühlschaos Mirna gegenüber ist er völlig überfordert. Aber irgendwie muss es ja weitergehen, nur wie?


Tonio Schachinger (*1992) zeichnet in seinem Debütroman NICHT WIE IHR – der überraschend, aber zurecht auf der Shortlist des diesjährigen Deutschen Buchpreises landete – ein Männerbild aus einer Welt, die jeder aus dem Fernsehen kennt, den allermeisten jedoch verwehrt bleibt. Es ist die Welt der Stars, der Messis und Ronaldos. Schachinger versteht es, neben der gelungenen Geschichte um seine Hauptfigur Ivo, seine Leserschaft einen interessanten Blick hinter die Kulissen werfen zu lassen. Die internen Abläufe auf und neben dem Feld, die Fülle an – bis ins Privatleben reichenden – Regularien, denen sich solche Top-Spieler unterwerfen müssen, um ihre Karrieren so lange wie möglich aufrecht zu halten; das alles ist äußerts glaubwürdig erzählt und lässt eine umfangreiche Recherche in höheren Kreisen vermuten.

Zugegeben: Ich kenne mich mit Fußball recht wenig aus und hatte zunächst Bedenken, ob mich der Roman überhaupt auf irgendeine Weise wird abholen können. Aber Schachingers Art zu schreiben – sein auf Ivo zugeschnittener sarkastischer Ton –, hat mich dann doch überzeugt. Hinzu kommt dieser Wiener Jugendslang, in dem Ivo meist spricht und denkt – Fuck oida, wie schiach! –, der zwar auf fast jeder Seite verwendet wird, den ich aber nicht als aufdringlich empfand. Sicher schmeichelt dieser derbe Ton der Hauptfigur nicht gerade, und verbunden mit Ivos überheblicher Art und seinen chauvinistischen, teils sogar heftig sexistischen Ansichten, ist das Gesamtpaket nicht das was gemeinhin als sympathisch gelten dürfte. Dennoch bleibt Ivo das ganze Buch über »der Gute«. Vielleicht auch, weil man irgendwie Mitleid bekommt und sich sagt: »Der arme Junge. Er weiß es nicht besser, hat’s nie gelernt.«

Ich habe mich irgendwann gefragt, ob es ein reales Vorbild für Ivo gibt und mich im Netz auf die Suche gemacht. Herkunft, Alter, Temperament, Familie, Nationalmannschaft, Premier League … am ehesten ähnelt Ivo noch Marko Arnautović, allerdings taucht dieser auch als Nebenfigur im Roman auf. Ich denke, Ivo kann einfach als Prototyp für diese bestimmte Gruppe von Menschen stehen, und NICHT WIE IHR als gutes Beispiel für gelungene Millieustudien.


978-3-218-01153-2NICHT WIE IHR erschien beim Wiener Verlag Kremayr & Scheriau, dem ich herzlichst für das Rezensionsexemplar danke. Alle Informationen über Buch und Autor, sowie eine Leseprobe findet Ihr hier. Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

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