Barbara Handke | WO IST NORDEN

D 2018 | 306 Seiten
Books on Demand
ISBN: 978-3-7460-6758-2

Mit dem Abend kamen die Mücken, surrten, landeten, stachen und ich – unfähig, einem lebenden Wesen etwas zuleide zu tun – schloss mein Fachblatt und ging hinein. (Seite 7)

Ein Gutshaus in der mecklenburgischen Provinz für eine Mark? Gut, die Zeiten sind vorbei – aber es gab sie mal, und das ist noch gar nicht so lange her. Barbara Handke blickt in WO IST NORDEN genau auf diese Jahre zurück. Das idyllische Dörfchen Plenskow ist Handlungsort ihres Debütromans. Dort kommt Familie Wander kurz nach der Wende günstig an ein heruntergekommenes Gutshaus, restauriert es aufwändig mit dem Ziel, es wieder in seinem alten Glanz erstrahlen zu lassen und als beliebten Treffpunkt für die Plenskower und die Touristen zu etablieren. Ein wertvolles Fresko, das bei den Renovierungsarbeiten zum Vorschein kommt, und ein einladendes Café soll die Gäste anlocken.

Doch es ist eine wirre Zeit und die Mecklenburger sind seit jeher von skeptischer Natur. Und so finden die Wanders in Plenskow nicht nur Befürworter ihres ehrgeizigen Projektes, sie machen sich auch Feinde und Neider. Hinzu kommt, dass jedes Familienmitglied mit den Verpflichtungen, die ein solches Projekt mit sich bringt, auch private Herausforderungen zu stemmen hat. Rita und Pavel, die Oberhäupter der Wanders und federführend im Gutshaus, stecken all ihre Kraft in das Anwesen, doch bei ihren Kindern sieht das schon anders aus. Tochter Agnes ist schon früh nach New York abgehauen und Sohn Nikita, der in der nächsten Großstadt wohnt und arbeitet, fühlt sich in Plenskow nie so richtig heimisch. Einzig Marlene, die Ehefrau des jüngsten Sohnes Konrad – der dem Projekt auch eher unentschlossen gegenübersteht –, unterstützt ihre Schwiegereltern tatkräftig. Auch die drei Enkel haben es nicht leicht, werden in der Schule als Grafenkinder verspottet und gemobbt, ganz zu schweigen von der aufkeimenden Pubertät, die immer alles so furchtbar kompliziert macht.

Es ist Nikita, aus dessen Sicht wir Leser die Geschichte um das Gutshaus und seine Familie erfahren, obwohl – oder gerade weil er nicht immer vor Ort ist und Plenskow nur ab und zu einen Besuch abstattet. So hat er genügend Abstand, um das richtige Maß an Objektivität in seine Erzählung zu legen. Handke führt ihn in leisen Sätzen unaufgeregt durch die wirre Zeit von 1993 bis 2003, Jahre in denen viel passiert: Freud und Leid, Erfolge und Fehlschläge, Liebe und Verlust – wie das Leben eben so spielt.

Barbara Handke (geboren 1976 in Barth, also ganz im Norden des Nordens) gelingt mit ihrem Erstling ein zartes Bildnis ihrer – und auch meiner – Heimat, zu einer Zeit in der sich die Mecklenburger erstmal orientieren mussten, woher denn nun der Wind weht. Der private Ankauf von Guts- und Herrenhäusern, von denen es hier jede Menge gibt (schaut mal hier), war in den 1990er Jahren ein großes Thema, mit dem leider auch viel Schindluder getrieben wurde. Die einhergehende Verunsicherung, gepaart mit der Aufbruchsstimmung der Nachwendezeit, ergab eine Atmosphäre, die Handke gekonnt in ihrer Geschichte einfängt. Ein gutes Buch und ein wichtiger Beitrag zur Historie des noch jungen Bundeslandes. Ein – Darf ich das Attribut Heimatroman verwenden? Ich tu’s einfach! – ein Heimatroman also, im besten Sinne.


handkenordenWO IST NORDEN ist beim Self-Publishing-Anbieter Books on Demand erschienen und hier erhältlich. Ich danke der Autorin für das Leseexemplar. Weitere Informationen findet Ihr auf der Internetseite des Romans www.woistnorden.de. Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Auch BoD-Romane sind mit der ISBN bei jedem Buchhändler bestellbar. Die Online-Riesen sind schon satt genug und die Innenstädte werden es Euch danken.

3 Gedanken zu “Barbara Handke | WO IST NORDEN

  1. Wir fahren regelmäßig an einen Ort in MeckPomm. Das Dorf hat nur einen Tante-Emma-Laden, eine Kneipe und einen Bootsverleih, so klein ist er. Jedoch hinter einer Pappelallee ist ein alter Gutshof, umgebaut zu Hotel plus sehr schönem Café, allerdings ohne Fresko. Sicher hatten die Erschaffer dieses idyllischen Pläzchens auch mit Anfeindungen zu kämpfen. Schon wegen diesem Urlaubsbezug interessiert mich das Debüt, das du ruhig Heimatroman nennen kannst. Aber das ist nur meine Meinung.

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