USA 2018 | 335 Seiten
OT: »The Feral Detective«
Übersetzt von Ulrich Blumenbach
Tropen Verlag
ISBN: 978-3-608-503852-2
Ich kam zwanzig Minuten zu spät zu meinem Termin beim wilden Detektiv, weil ich zweimal an dem Haus vorbeifuhr. (Seite 9)
Phoebe Siegler fliegt von New York nach Kalifornien, um am Rande der Mojave-Wüste nach der Tochter ihrer Freundin zu suchen. Auf der Suche nach Hilfe bei ihrem Vorhaben stößt sie auf Charles Heist, den wilden Detektiv, der sich zur Aufgabe gemacht hat, verschwundene Menschen wiederzufinden. Heist – ein typisch amerikanisches Rauhbein der alten Schule – führt Phoebe in die Uplands, ein gottverlassenes Gebiet weitab vom pulsierenden Los Angeles, und mitten hinein in den Kleinkrieg zweier rivalisierender Hippie-Stämme, den Bären und den Kaninchen.
Seit Jahrzehnten schon wird in dieser Parallelgesellschaft Blut vergossen, es werden Geiseln genommen, Trophäen erobert und in brutalen Zweikämpfen neue Könige gewählt. Eingeklemmt zwischen den Fronten geraten auch Phoebe und Heist schnell ins Visier der Aussteiger, doch Heist hat einen entscheidenden Vorteil: Er ist hier aufgewachsen und kennt beide Stämme bis ins Detail.
Was uns Jonathan Lethem (*1964) hier in seinem neuesten Roman auftischt, ist eine äußerst unterhaltsame Knüppeltour durch das amerikanische Hinterland, durch Ecken, die man vielleicht nicht gleich als Erstes mit dem Namen Kalifornien verbindet. In cineastischen Bildern – die mal an Sergio Leone, mal an die Coen-Brüder erinnern – folgen wir der Ich-Erzählerin Phoebe durch die unwirkliche Landschaft und die abgefahrenen Stammesrituale. Ein kluger Schachzug, die Ich-Perspektive nicht dem Titelhelden aufzubürden, denn so sind wir Leser die ganze Zeit genauso perplex wie Phoebe, wodurch auch der Großteil des Humors in diesem Buch entsteht. Allein das Aufeinandertreffen von Ost- und Westküstenvertretern – die aufgeklärte, Smartphone-abhängige, dauerplappernde und immergeile Großstadt-Tussi und der schweigsame, alle Emotionen runterschluckende Präriewolf – ist eine unendliche, inneramerikanische Culture-Clash-Fundgrube.
Dennoch beschlich mich gerade zum Ende des Romans hin das Gefühl, dass mich Lethem um irgendetwas betrogen hat. Wenn man die ganzen irren Einzelszenen und die sonderbaren Figuren mal ruhen lässt, bis sich der Wüstenstaub gelegt hat, bleibt eigentlich nicht viel übrig. Die Detektivgeschichte als solche ist recht einfach gestrickt und auch zwischen den Zeilen ist wenig zu finden. Im Klappentext zum Beispiel wird auf den Wahlsieg von Donald Trump und den Tod von Leonard Cohen hingewiesen, beides Motive, die auch im Roman immer wiederkehren, auf die aber nicht weiter eingegangen wird. Man kann mit diesen Motiven überhaupt nichts anfangen, außer den Plot einem Zeitpunkt zuzuschreiben. Okay, dass Phoebe den Einmarsch des »Trumpeltiers« dem Weltenende gleichsetzt, weist sie als Demokratin aus – aber soll das schon alles sein? Lethem betreibt Budenzauber, produziert jede Menge Disconebel, um die Schwächen seines Romans zu verdecken.
Alles in allem ist DER WILDE DETEKTIV trotz der genannten Schwächen durchaus unterhaltsam. Um im Cineastenvokabular zu bleiben: Popcorn-Kino.
DER WILDE DETEKTIV erschien beim Tropen-Verlag, dem ich herzlich für das Rezensionsexemplar danke. Alle Informationen über Buch und Autor findet Ihr hier. Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.