Anselm Oelze | PANDORA

D 2023 | 464 Seiten
Schöffling Verlag
ISBN: 978-3-89561-134-6

Der Anruf kam zur Unzeit.

(Seite 9)

Was ich total mag, sind Geschichten, in denen völlig unterschiedliche Charaktere auf verschiedenen Wegen auf ein gemeinsames Schicksal zusteuern. Ein Hollywood-Film, der diese Erzählweise in Perfektion darbietet, ist P. T. Andersons Drei-Stunden-Epos MAGNOLIA, den ich auch nach über zwanzig Jahren und dutzenden Durchläufen immer noch als ein grandioses Meisterwerk feiere. Anselm Oelze hat sich für seinen neuen Roman dieser Art der Konstruktion bedient und liefert mit PANDORA ein ambitioniert komplexes Buch, das stark beginnt und endet, im Mittelteil aber deutliche Durchhänger hat.

Vier Menschen sind es bei Oelze, deren Lebenswege sich überschneiden: Carline, die sich, enttäuscht von der gierigen und zerstörerischen westlichen Zivilisation, auf eine Forschungsreise ins Ungewisse begibt; Jurij, dem die aufgedeckten Gräueltaten seines Vaters während des Jugoslawienkrieges den Boden unter den Füßen wegzieht; David, der von heut auf morgen von Frau und Kind verlassen wird und zum ersten Mal etwas tut, was nicht von langer Hand geplant war; und der Theologielehrer Telmo, der heimlich einem sexuellen Fetisch nachgeht und damit seiner Schülerschaft zu nah auf die Pelle rückt. Sie alle sind Teil einer gemeinsamen Geschichte, die größer ist als die Summe ihrer Einzelschicksale, und im Regenwald Brasiliens endet.


Die Themen, auf die Oelze immer wieder zurückkommt, sind brennend aktuell und hochinteressant. Die Umweltverschmutzung, der zerstörerische Kapitalismus und der Gleichmut, mit dem die oberen Zehntausend ihm begegnen. Darüber kann man endlos diskutieren, besonders hier in Mitteleuropa, wo wir doch alle irgendwie zu den Gewinnern der globalisierten Ausbeutung gehören. Die vier Hauptfiguren haben unterschiedliche Gründe, ihr bisheriges Umfeld zu verlassen, und stehen in ihren Überzeugungen auch auf getrennten Feldern – perfekte Grundlagen für einen guten Roman also. Das ist auch alles sehr schlau verwoben und in Verbindung gebracht, dennoch hatte ich so meine Schwierigkeiten.

Die Lektüre des Romans liegt bei mir jetzt schon ein paar Wochen zurück. Normalerweise versuche ich, meine Rezensionen so schnell wie möglich nach der letzten Seite zu schreiben. Bei PANDORA aber hatte ich das Gefühl, ich müsste der Geschichte noch etwas Zeit geben, die Eindrücke wirken lassen, noch weiter darüber nachdenken. Doch leider geriet der Großteil des Romans erstaunlich schnell und erschreckend einfach in Vergessenheit. Woran das liegt, kann ich nicht mit Gewissheit sagen, eine große Schwäche ist mir aber beim Lesen schon aufgefallen: Die Figuren sind zu blass, sind nicht markant genug, um in Erinnerung zu bleiben. Der Fußfetischist Telmo ist der Einzige, der genug Tiefe hat, damit man sich ein vernünftiges Bild von ihm machen kann.

Mit weit über vierhundert Seiten ist das Buch auch deutlich zu umfangreich und manche Szenen entbehrlich. Man liest und liest und liest, das Buch spricht aber nicht zu einem. Warum zum Beispiel folgen wir David über Seiten hinweg durch den Campus der Oxford University? Ach so: Oelze hat dort selbst studiert und will dringend unterbringen, wie gut er sich dort auskennt … solch billiges Füllmaterial ist völlig überflüssig. Die meisten Szenen aber sind – wie auch die Figuren – einfach zu unauffällig. Es muss ja nicht andauernd irgendetwas Krasses passieren, aber ein bisschen mehr Markanz – besonders im Mittelteil – hätte dem einen oder anderen Kapitel sicher gutgetan. Anselm Oelze kann schreiben, keine Frage, aber das allein reicht manchmal nicht aus.


PANDORA erschien im Schöffling Verlag, dem ich herzlich für das Rezensionsexemplar danke. Mit einem Klick aufs Coverbild kommt ihr zur Verlagsseite, wo Ihr Informationen über Buch und Autor, sowie eine Leseprobe findet.

Eine kleine Bitte noch: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.


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